Drei Dokumente zum Tode der Dichterin Johanna Maria Elisabeth Merck geb. Neubauer

Teile 1, 2 und 3: Von Dr. Franz Christian Merck, Alsfeld (1773)

Der Mediziner Dr. Franz Christian Merck, Sohn des Apothekers Joh. Franz und Stiefbruder des Kriegsrats Joh. Heinrich Merck, war, nachdem er einige Zeit in seiner Vaterstadt Darmstadt praktiziert hatte, am 25. Mai 1764 zum Hofmedikus und am 6. Oktober des gleichen Jahres an Stelle des in die Residenz versetzten Dr. Karl Christian Schleiermacher zum Stadt- und Landphysikus in Alsfeld ernannt worden. Nachdem er am 26. Januar 1771 den Charakter als Hofrat erhalten hatte, machte er im Juni 1776 den Versuch, wieder in seine Heimat zurückzukommen: er bittet um ein Expektanz-Dekret auf die Landphysikatsstelle in Darmstadt und begründet seinen Wunsch mit dem Hinweis darauf, daß er in Alsfeld keine Gelegenheit habe, „das Accouchement als das Hauptstück meiner erlernten Wissenschaften zum Vortheil meiner Nebenmenschen genugsam zu betreiben“, sowie auf die Tatsache, daß sein ganzes Vermögen in Darmstadt angelegt sei und durch fremde Hände verwaltet werden müsse. Seine Hoffnung auf Beförderung wurde jedoch nicht erfüllt, und er blieb bis an sein Lebensende in Alsfeld, seit 1793 in seinem schweren Dienst in dem großen Bezirk unterstützt durch seinen Schwiegersohn Dr. Joh. Stoll.

In Alsfeld starb ihm am 4. Nov. 1773 – so das Kirchenbuch, er selbst gibt den 5. Nov. als Sterbetag an – seine 1. Frau Joh. Maria Elisabeth geb. Neubauer, die als eine nicht unbegabte Dichterin im Jahre 1760 von der Göttinger „Teutschen Gesellschaft“ als Ehrenmitglied aufgenommen worden war (vgl. Familien-Zeitschrift 6, 91f.). In dem Archive dieser Gesellschaft, das jetzt auf der Göttinger Universitätsbibliothek verwahrt wird, hat sich das Schreiben erhalten, in dem der Witwer den Tod seiner Gattin anzeigt, und ebenso die von ihm darin erwähnte, bei Joh. Christoph Schröder in Gießen gedruckte Trauerrede [01]; auch das in dem Schreiben nicht berührte Trauergedicht der Mutter und der Geschwister der Verstorbenen, gedruckt bei Joh. Jac. Braun in Gießen, liegt bei. Diese drei Dokumente werden hier als Beisteuer zur Geschichte der Dichterin und nicht minder zur Charakteristik ihres Gatten wiedergegeben.

[01] Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Dr. Herm. Bräuning-Oktavio in Darmstadt.

1

Hoch-, Hochwohl-, Wohl-, Hochedelgebohrne und Hochgelahrte Herrn,
Gnädig-, Hochgrosgünstig-, Hochzuverehrende Herrn!

Von Franz Christian Merck

Es hat Gott gefallen, meine geliebte Ehegattin und hochdero, der Königl. und Kurfürstl. Deutschen Gesellschaft in Göttingen aufgenommenes Mitglied Johanna Maria Elisabeta, eine gebohrne Neubauerinn, am 5. Novembris l. J. nach einer derselben in Ihrer letzten Niederkunft zugestoßenen und in die 7 Wochen angedauerten Krankheit in dem 37ten Jahr Ihres Alters aus dieser Zeitlichkeit abzufordern.

Meine Schuldigkeit erfordert es, Ew. Ew. Ew. Hoch-, Hochwohl-, Wohl- und Hochedelgeb. diesen Abgang eines deroselber Mitgliedern gehorsamst einzuberichten und denselben vor die Ehre, welche Sie derselben in Ihrem Leben durch die feyerliche Aufnahme in eine so erlauchte Gesellschaft, als man in der Ihrigen verehret, erwiesen haben, den verbindlichsten Dank zu erstatten, anbenebens aber gleich anfangs zu bietten, selbige geruhen wollen, es theils meinem über diesen Verlust auf allen Seiten empfindlichen Schmerz, theils meiner öfteren Abwesenheit in Besuchung der Kranken, theils auch der Zerstreuung des Gemüths, aus welcher ich mich bis diese Stunde noch nicht wieder habe samlen können, beyzumessen, wenn ich mich von dieser Schuldigkeit etwas später entledige, als es nach den Regeln des Wohlstands hätte geschehen sollen.

Es bleiben die Veranstaltungen und Anordnungen Gottes in seinen Reichen iedesmal heilig und weise. Und diese Weisheit wird auch von Ihren Kindern mit willigster Unterwerfung gerechtfertigt. Dieser weise Regent wird sonder allen Zweifel vor das gemeine Beste der Stadt Gottes vorträglicher gefunden haben, wenn er die Wohlseelige aus der vor der Welt so angesehenen Gesellschaft, als die Ihrige ist, würde abrufen und sie dargegen in die Gesellschaft iener vollkomen gemachten Geister eintreten heisen, in welcher Sie mit weit aufgeklärtem Geist, und ohne die Zerstreuungen dieses irdischen Lebens, Lieder aus dem höheren Chor zum Lob des Schöpfers dichten und vor dem Stuhl des Lammes, welches Sie hienieden schon mit so großer Demuth verehret, anstimmen und vor selbigem niederlegen würde.

Die Wohlseelige hatte bey Ihren annoch gesunden Tagen abermal Fortsetzungen von Ihren prosaischen Werken ausgearbeitet, solche auch würklich der Presse allschon übergeben. Sie hat aber das Ende des völligen Abdrucks nicht erlebet, indem solcher allererst gegen Ostern die Presse verlassen wird.

Meine vor die Seelige als eine tugendhafte Ehegattin, sorgfältige Kindermutter, fleißige Hauswirthin und über solches alles vernünftige Christin heegende Achtung habe ich in einer Trauer-Ode zu erkennen geben sollen. Ich nehme die Freiheit selbige hier anzulegen und mir übrigens die vorzügliche Ehre zu erbitten, mich Zeit Lebens mit ausnehmender Hochachtung und Ehrerbietung nennen zu dürfen

Deroselben

Ew. Ew. Ew. Ew. Hoch-,

Hochwohl-, Wohl- und Hochedelgeb.

untertänigen und gehorsamsten Diener

D. Franz Christian Merk

fürstl. Hess.-Darmstädt. Hofrath und

Hof-Medicus, auch Physicus ordinarius

in Stadt und Oberamt Alsfeld.

Alsfeld, den 26. Decembris 1773.

2

Dem
Andenken
Der
Hochedelgebohrnen Frau
FRAU
Johanna Maria Elisabetha
Merkinn,
einer gebohrnen Neubauerinn,
Mitglieds der Deutschen Gesellschafft zu Göttingen
und Erlangen,
welche
den 5ten Novembr. 1773.
im sieben und dreißigsten Jahr Ihres Alters
seelig verschied,
gewidmet
von
der verstorbenen Ehegatten.

Geliebte, Du bist nun befreyt von allem Leiden,
Und thronst, wo Deine Ruh kein Sturm verscheucht,
Geniesest nun entzückt erhabne Götterfreuden,
Die keines Engels höchster Flug erreicht.

Oft hat Dich rastlos hier des Lebens Pein gequälet,
Und oft schloß sich Dein Auge thränend zu;
Doch itzt genießt Dein Geist, von edlerm Glück beseelet,
Des Himmels reine ungestörte Ruh.

Dein halbes Daseyn ist nun Ewigkeit geworden;
Hier sahst Du Gott nur durch ein dämmernd Licht;
Nun schaust Du unverhüllt, in wonnereichern Orten,
Sein mehr als sonnenstrahlend Angesicht.

Du triumphirest nun dort mit der Siegeskrone,
Und preisest dann, von Danck und Lust entbrannt,
Den Stifter Deines Glücks, vor Deines Schöpfers Throne;
Des Himmels Kleinod prangt in Deiner Hand.

Ach himmlisch ist Dein Glück, unnennbar Deine Wonne,
Die Du durch Deine Tugend Dir erwarbst,
Durch die entzückungsvoll, des Himmels grosem Lohne
Du christlichgros getrost entgegen starbst.

Von eitlen Wünschen fern, nur Deinem Gott ergeben,
Sahst Du dem Spiel der Welt gelassen zu;
Kein Laster schwärzte Dich, Du stimmtest schon Dein Leben
Hienieden für des Himmels ew’ge Ruh.

Wie viel, Geliebteste, muß ich mit Dir vermissen,
Da Dich Dein Genius gen Himmel führt!
Ach ewig sollen Dir der Wehmuth Thränen fließen,
Die keine Zeit, kein Schicksal enden wird!

Bey Deinem Aschenkrug werd ich hier oft erscheinen,
Und dann, wenn alles still um mich wird seyn,
Gleich einer Nachtigall, um Dich, Geliebte, weinen,
Vertrauten Wäldern klagen meine Pein.

Werd ich dann auch zum Thal des Tods hinüber wallen,
Strebt sich mein Geist aus diesem Staube dann,
So werd’ ich, blick’ ich Dich, Dir um das Herze fallen,
Vor Freuden weinen, daß ich ewig kann

Mit Dir, Geliebte, nun des Himmels Glück genießen,
Das keine Nebel dieser Erd’ umziehn:
Ach, Augenblicken gleich, so werden sie verfließen,
Die großen Himmelstage dann uns hin.

3

Denckmal
der Liebe und Treue
bey dem Grabe
Der weiland
Wohlgebohrnen Groß- Ehr- und Tugendbelobten Frau
FRAU
Johanna Maria Elisabeth
Merckin,
Des Wohlgebohrnen und Hochgelahrten
HERRN
D. Frantz Christian Merck
Fürstlich-Hessen-Darmstädtischen Hofraths
und Hof-Medici
wie auch
Stadt- und Land-Physici zu Alßfeld
Frau Eheliebste
gebohrne Neubauerin,
als Dieselbe
am 5ten Novembr. 1773. Abends um 6. Uhr
im 37sten Jahr Ihres rühmlichen Alters seelig verstorben
und den 7ten darauf beerdiget wurde;
errichtet
von der
seelig Verstorbenen
Mutter und sämtlichen Geschwistern.

Ist dann mein Trost so gar verschwunden,
Ist nirgend keine Hofnung mehr!
Ich zählte Wochen, Tag und Stunden,
Mich quälte oft der Sorgen Heer:
Oft dacht’ ich, nein, ich will mich fassen;
Soll meine Tochter schon erblassen!
Ist sie doch Ihrer Bürde frey.
Bald grünte meine Hofnung wieder,
Oft sagten mir die welken Glieder,
Daß doch noch Leben übrig sey.

Jetzt reist Sie sich von Ihren Banden,
Jetzt von der Kranckheit Fesseln los:
So sprachen Freunde und Bekanten.
Sie stirbt: o welch ein Schreckens-Stoß!
Mein Hertz zerbricht: mein halbes Leben,
(Wer gibts, wer kan mirs wieder geben!)
Nimmst du, mein Hannchen, mit ins Grab.
Fast brechen mir des Wittwers Sehnen,
Der zarten Waysen bittre Thränen,
Den letzten Lebens-Faden ab.

Und Du, ach! Du willst von uns scheiden!
Nein, Schwester, nein, verweile noch!
Bis wir dereinsten Dich begleiten,
Frey von der Eitelkeiten Joch.
Ach! siehst Du nicht, wie unsre Wunden,
Die ungeheilt, nur halb verbunden,
Dein Abschied wieder schmertzlich macht!
Wie jener Gram bey manchen Fällen,
Durch Kümmerniß und Trübsals-Wellen,
Nur zwiefach mehr in uns erwacht!

Wie allzufrüh eilst Du von hinnen,
In Deines Alters bestem Flor!
Schau jetzt von jenen Himmels-Zinnen,
Brich aus dem Grabe noch hervor!
Laß Mutter, Schwestern, Brüdern, Gatten,
Laß Waysen nur noch Deinen Schatten
In liebesvollem Anblick ruhn!
Der Liebe Macht treibt unsre Hertzen,
Zur Linderung gehäufter Schmertzen,
Zur Danckbarkeit noch das zu thun.

Doch aber, nein, ach! ja wir schweigen;
Der Herr des Lebens redet drein.
Wenn ja die Pole selbst sich neigen,
So stimmt sein Rath auch hier mit ein.
Laßt Berge, Hügel, Erd und Meere,
Des Himmels ungemesne Heere,
Aus ihren Angeln plötzlich gehn:
Doch müssen Gott geweihte Seelen
Die nur des Himmels Kleinod wählen,
Gantz unerschüttert veste stehn.

Dies war, Verklärte, Dein Bemühen,
Ja solches war es gantz allein,
Was Dich zum Himmel aufwerts ziehen,
Und nur Dein Kleinod sollte seyn.
Drum hast Du schon den Tod bezwungen,
Und von der Gottheit Licht durchdrungen
Dir ein Panier selbst aufgesteckt,
Das prächtig ob dem Grabe schwebet:
Ich weiß, daß mein Erlöser lebet,
Der mich bald wieder auferweckt.

Der Erden Raum ist viel zu enge,
Er faßt der Gottheit Tempel nicht:
Dann dort, ob jener Sternen Menge,
Scheint nur das ew’ge Freuden-Licht.
Wie bald, wie bald wirds uns gelingen,
Zu jener Wohnung einzudringen,
Wo Nacht und Schatten nicht mehr sind;
Wenn Deine Hand, o! Fürst des Lebens,
(Und unser Wunsch sey nicht vergebens!)
Uns nur bald in Bereitschaft findt!

Nun, Deines Kampfes Sieges-Zeichen,
Verklärter Geist! Dein letztes Wort
Soll nie aus unsren Seelen weichen,
Bis unser Leib dereinst verdorrt.
Wie jauchzend werd ich Dich umarmen,
Nimm durch dein himmlisches Erbarmen,
Uns, Herr, zu deiner Wohnung ein!
Dann soll, wornach wir uns bestrebet:
Ich weiß, daß mein Erlöser lebet,
Die auserwählte Losung seyn.

Die Publikationsgenehmigung für diesen Text – die Teile 1, 2 und 3 von Franz Christian Merck – im Rahmen des Internetprojekts www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von der Merck KGaA (Merck Corporate History) erteilt. Vielen Dank!

Erstveröffentlichung:

Mercksche Familienzeitschrift: Drei Dokumente zum Tode der Dichterin Johanna Maria Elisabeth Merck geb. Neubauer, in: Mercksche Familienzeitschrift, 1923, Heft 9, S. 109-115.

[Stand: 31.03.2024]