Das Neurath-Haus (Rittergasse 3)

Von Dr. Werner Meyer-Barkhausen, Marburg (1927)

Das stattliche Bauwerk (Unter- und Zwischengeschoss, zwei Obergeschosse) wurde 1688 von Constantin Neurath erbaut. [01(71)]

Neurath-Haus, Rittergasse 3

Es wendet die von einem Zwerchhaus überhöhte Traufseite nach Süden zur Rittergasse. Eine breite Durchfahrt zerlegt es in zwei selbständige Teile, von denen der östliche den Eingang mit Säulenrahmung und reichgeschnitzter Haustür an der Rittergasse hat.

Torfahrt im Neurath-Hause

Der schöne rechteckig vorspringende Erker an der östlichen Giebelseite, der heute durch das unmittelbar davorgesetzte Nachbarhaus nicht zur Geltung kommt, lässt vermuten, dass an dieser Stelle ursprünglich ein freier Platz anschloss, der vom Erker aus Durchblick zum Markt gestattete. Im Ganzen ist auch hier die Absicht auf reiche Schmuckwirkung unverkennbar. Schnitzzierat findet sich an den Eckpfosten (z.T. gedrehte Säulen mit geflügelten Engelsköpfen und Weinranken), an den Erkerkonsolen, an der Rahmung der Durchfahrt und an der schönen Haustür.

Tür des Neurath-Hauses

Lassen die Gebälke schon eine gewisse Verarmung erkennen, so sind die Balkenköpfe doch noch ausdrucksvoll profiliert. Das Fachwerk zeigt reiche Brüstungsfüllungen, gekreuzte S-Hölzer mit Zwickelornamenten im oberen, eigenartige Gefachtäfelungen mit Rhombenausschnitt im mittleren Geschoss. In drei Gefachen der Ostseite neben dem Erker finden sich Malereien, die anscheinend Paradies und Sündenfall darstellen, deren Unterschriften jedoch nicht mehr zu entziffern sind.

Eigenartig sind die zierlich ausgeschnittenen Fensterrahmungen des Zwischengeschosses, deren Herkunft von den im thüringischen Fachwerkbau üblichen Schiebegerähm-Fenstern unzweifelhaft ist [02(72)]. Im Inneren ist in der östlichen Haushälfte die durch alle Geschosse hindurchführende hohe Wendeltreppe zu beachten, deren Spindel mit niederem Geländer aus einem Stamm gefertigt ist. Die große Scheune im Hintergrund des Hofes mit ansehnlichem Balkenwerk trägt das inschriftliche Datum 1678.

Anmerkungen:

[01(71)] Über ihn siehe Eduard Edwin Becker (Ein Alsfelder Kind in stürmischen Zeiten, (2 Teile), in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 4. Reihe, Nr. 1, 1913, S. 1-5 und 4. Reihe, Nr. 2, 1913, S. 9-13.). Hanftmann (B. Hanftmann, Hessische Holzbauten, S. 72) nennt als Erbauer des Hauses irrtümlich Johann Ludwig von Minnigerode und seine Ehefrau Appollonia, geb. Oeyenhausen, von denen er allen Ernstes behauptet, dass sie in diesem ihm als Typ des entwickelten Handelshauses erscheinenden Gebäude zu Ende des 17. Jahrhunderts „offenen Kram und Laden“ gehalten hätten.

[02(72)] Dies betont schon Hanftmann (a.a.O., S. 152). Er bildet ein Schiebeladengerähme aus der Gegend von Coburg ab. Besonders finden sich diese Fenster auch in der Umgegend von Eisenach, wo mir z.B. in dem Dorfe Kälberfeld ein prächtiges Beispiel von ganz ähnlich wie in Alsfeld gezackter Rahmung eines Fensters mit Schiebeladen bekannt ist. – Zu den Brüstungsvertäfelungen des Mittelgeschosses sei noch bemerkt, dass Bickells Aufnahme von 1887 (Hessische Holzbauten, I, 4) noch eine ziemlich geschlossene Reihe solcher Füllungen zeigt. Ein verständnisloser späterer Umbau hat die drei Brüstungsfüllungen in der Mitte und auch drei prächtige Butzenscheibenfenster entfernt.

Erstveröffentlichung:

Dr. Werner Meyer-Barkhausen, Alsfeld, in: Alte Städte in Hessen, Band 1, Marburg 1927, hier: S. 40 [Das Neurath-Haus (Rittergasse 3)].

[Stadt: 23.04.2024]