Von Georg Huff (1932)
Es ist schon mehrfach darüber berichtet und geschrieben worden, wie sehr die Einwohner von Alsfeld unter dem unseligen Kampf des 30-jährigen Krieges zu leiden hatten. Belagerung, Verabreichung einer „starken kalten Küche“ damit der Durchzug der Truppen in aller Ordnung geschehen solle, Brandschatzung seien als die vornehmlichen Übelstände erwähnt. Es wurde zu weit führen, die einzelnen Zeitabschnitte dieses Krieges zu betrachten und die nachteiligen Folgen eines jeden für Alsfeld und seine Bewohner ausführlich aufzuzählen. Besonders deutlich festgehaltene Erinnerungen an die Kämpfe müssen aber von Zeit zu Zeit aufgefrischt werden, um sie nicht in Vergessenheit gelangen zu lassen.
Unserem Museum wurde ein Bild überwiesen von dem Kommandanten Geyße [Geiso]. Er befehligte die kasselischen Truppen und erschien am 30. September 1646 vor unseren Mauern und machte Anstalt, die Stadt zu belagern. Zwei Stürme auf die Stadt wurden siegreich abgeschlagen. Der dritte Sturm führte aber zum Ziel, und die Besatzung musste sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Das tapfere Verhalten des Befehlshabers und seiner Soldaten wurde von dem Feinde mit der Achtung gewürdigt, wie es ein solch mutiges Benehmen verdiente. Was uns aber hier beschäftigen soll, ist das mutige Verhalten des Bürgermeisters Konrad Haas. Geschichtsschreiber berichten ausführlich über diese Belagerung und heben besonders hervor, „aber auch die Einwohnerschaft hatte sich in dieser Drangsal brav benommen, und vor allem der Bürgermeister Konrad Haas und der geistliche Inspektor Georg Eberhard Happel“. Haas stand wahrend der ganzen Belagerung dem Kommandanten mit Mut und unermüdlicher Tätigkeit zur Seite. Er feuerte die Bürger an und ließ sie hinter der Bresche arbeiten. Sein patriotisch treues Gemüt ist dadurch bewiesen worden, „dass er bei Tag und Nacht, während der Belagerung, bei Stürmen, Bresch-Schießen und Feuer-Einwerfen allezeit vorangewesen, sich ernstlich und standhaftig an den Kommandanten gehalten, dass mit dessen Hilfe und Rat aller Orten, wo es nötig gewesen, großer Widerstand mit tapferem Gemüte und Anfrischung der lieben Bürgerschaft bezeugt worden.“
Aus einer Familienschrift, die Personalien des damaligen Stadtbürgermeisters Haas betreffend, enthält noch manche anziehende, besondere Umstände jener denkwürdigen Belagerung und Verteidigung. Die alten, treuherzigen Worte sollen selbst zum Leser reden: „Wobei denn nicht in geringe Verwunderung zu ziehen, als durch Tag- und nächtliches unaufhörliches Schießen es endlich an Blei ermangeln wollte, und unser seliger Herr Bürgermeister heiternde Mittel ergriffen, das auf dem Pfarrdache gelegene Blei bei solcher äußersten Not zu gebrauchen, auch hierüber Herrn W. Happel sel. Consens – Einwilligung – erlanget, niemand sich bequemen wollen, solches herunter zu langen, hat der selige Herr Bürgermeister sich erkühnet, mit höchster Gefahr eilfertig auf das Dach gestiegen und mit einer Axt, so ihm Herr Happel sel. dargereicht, das Blei in der Rinne abgerissen, unterdessen aber sein Haus, Hof, Hab und Nahrung durch ein gewesenes Feuer zu seinem und der Seinigen unwiederbringlichen Schaden, ohne einzige Hilfe oder Rettung, lieber in Dampf dahingehen, als sein teures Vaterherz gegen diese Stadt und Bürgerschaft sinken lassen, vielmehr derselbige Gott und der Herrschaft bis in den Tod treu bleiben, mit höchster Leibes- und Lebensgefahr unnachlässig anfrischen wollen.“
„Was nun nach Eroberung der Stadt, mit schweren Pressuren, zu Einlösung der Glocken unser sel. Herr Bürgermeister ausstehen, hineben auch von dem Kriegsvolk für Schmach, Jammer, Leid und Unheil erdulden müssen, würde viel zu weitläufig sein, der Länge nach zu erzählen. Insonderheit auch, wie er, wegen einer angeforderten starken Summe Geldes von den kaiserlichen Völkern gefänglich fortgeschafft werden sollte, sich aber, bis zum Abzug solcher Völker auf dem Kirchengewölbe verborgen halten müssen.“
Ein ähnliches Unsichtbarwerden des Bürgermeisters Konrad Haas entnehmen wir – wie in den Geschichtsblättern erzählt wird – aus einem Aktenstück des Staatsarchivs. Es zeigt den zügellosen Übermut der Soldaten. Sie betrachteten sich als die Herren der Bürger und erlaubten sich jede Schandtat. Die Unverschämtheit des Führers stand den Untaten der Soldaten nicht nach. Erwähntes Schriftstück teilt auch mit, dass sich der Führer durch ein erzwungenes Leumundszeugnis den Rücken gegen jede Anklage decken wollte. Es zeigt aber auch die Schlauheit des gequälten Bürgermeisters, der offenen Widerstand nicht wagen konnte, aber durch die Flucht die Pläne des Gegners vereitelte.
Das Blatt enthält zunächst von unbekannter Kanzleihand folgendes Zeugnis: Dem Obristwachtmeister Herrn Jakob Gerart, welcher in die Stadt Alsfeld des Proviants halber geschickt und kommandiert war, wird von einem ehrenfesten Rat allhier dieses Zeugnis gegeben, dass er sich in Person und alle seine Leute dergestalt zufriedenstellend gehalten und also verhalten haben, dass wir im geringsten gar nicht über ihn zu klagen haben; welches wir also mit unserm gewöhnlichen Petschaft und Stadtsiegel und eigener Handunterschrift bekräftigt. Gegeben in Alsfeld den 16. Juli 1646.
Statt Unterschrift und Siegel befindet sich aber folgende Nachschrift darunter von der Hand des damaligen Bürgermeisters Konrad Haas: Auf dieses Begehren des Herrn Oberstlieutnants mit dem Stadtsiegel solchen Schein ihm schriftlich zu geben und zu siegeln, habe ich Gewissens halber nicht wohl tun können, sondern ich habe bei ihm um Urlaub gebeten, solches einem ehrbaren Rat vorzutragen und zu zeigen. Da ich solches von ihm erlangt, ist mir der Rat gegeben worden, ich sollte mich verbergen. Es sei ja auch schon bei ihrer fürstlichen Gnaden dem Landgrafen Georg in Gießen Anklage erhoben. Also habe ich mich in die Kirche auf das Gewölbe zurückgezogen, bis sie abgezogen waren. Bei so großer Gefahr ist meiner vergessen worden, und ich blieb bis Mitternacht eingeschlossen.
Aus dem bereits erwähnten Familienschriftstück machen wir noch nachstehende Mitteilungen über den Lebenslauf des Bürgermeisters Haas: „Es ist männiglich bekannt, dass er nicht eine Predigt oder Betstunde versäumt hat, es habe ihn denn seine Baufälligkeit oder unvermögliches Alter abgehalten. Und ob er schon durch zweimalige sehr unglückliche Beinbrüche in erbärmlichen Zustand geraten, hat er doch nach seiner Genesung, wie sauer ihm auch der Gang worden, jederzeit seine höchste Freude an dem heiligen Worte Gottes gehabt und darin seine innigliche Herzensfreude und Erquickung gesucht, auch sein Vertrauen so fest an Gott gerichtet, dass er in seinen so vielfältigen und widrigen Begegnissen immer dieses zum Zweck gehabt: wenn der Herr mich schon töten würde, wollte dennoch ich beständig auf ihn hoffen.“
Über seine Wahl zum Bürgermeister wird berichtet: „In Ansehnung seines geführten aufrichtigen, rechtschaffenen Wandels, und nachdem er im Jahre 1636 durch öffentlich einstimmige Wahl in dem Rat auserkoren worden, wobei er dann 1637 das Feuerschillings- und andere Ämter der Ordnung nach tragen müssen, haben auch nachgehends die löblichen Zünfte und Gemeinde hiesiger Stadt zu unserm seligen Bürgermeister ein solch zuverlässiges Vertrauen getragen, dass sie ihn 6 Jahre lang, nämlich 1645-1646, sodann 1653-1654, und 1667 und 1668 des Bürgermeisteramtes würdig erachtet.“
Von befreundeter Seite werden uns noch nachstehende Mitteilungen aus dem Leben des Bürgermeisters Konrad Haas zugestellt. Mit bestem Danke geben wir sie den Lesern der Heimatblätter bekannt. Konrad Haas war 1599 geboren. Er starb 1676. Von Beruf war er Krämer Kaufmann – und wohnte in der Fuldergasse. Sehr vermögend schien er nicht gewesen zu sein. Neben seinem Amt als Bürgermeister versah er noch mehrere andere Ämter. 1633 war er Seckelträger in der Kirche, 1638 und 1656 Oberkastenvorsteher. Schätzer war er in den Jahren 1640, 1642, 1661 und 1666. Das Amt eines Weinmeisters verwaltete er 1639, 1644, 1652 und 1671.
Es ist ja wahr, dass die 30 Jahre von 1618-1648 dunkel und unheilvoll erscheinen. Forscht man aber in den Schriften, die sie hinterlassen haben, so findet man darin oft „den Glanz großer Charaktere und begeisterter Taten, die den düsteren Geschichtsraum mit dem Licht einer erwärmenden Menschlichkeit erhellen.“
Erstveröffentlichung:
Georg Huff, Ein tapferer und schlauer Bürgermeister von Alsfeld, in: Heimatblätter für den Kreis Alsfeld,
8. Jahrgang, Nr. 5, 1932, S. 34-35.
[Stand: 28.05.2024]