Von Karl Weitz, Alsfeld (1929)
Seid echte Jünger Jahns, im Sturm bewährt,
Und haltet rein des Turners Wappenschild;
In Geist und Art seid Euer Väter Ebenbild,
Dann seid Ihr ihres hehren Erbes wert.
Dann wird – das hoffen alle – unser Turnverein
Allzeit ein Hüter deutschen Volkstums sein.
Die Veranlassung zur Bildung eines Turnvereins in Alsfeld gaben Fabrikanten und Kaufleute, welche ihre Waren in den Jahren 1848 und 1849 zum Verkauf zur Messe nach Frankfurt am Main brachten. Dort wurde die Tätigkeit des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn, welcher zu dieser Zeit als Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main angehörte, viel besprochen. Die Ideen Jahns wurden im Frankfurter Gebiet in die Tat umgesetzt, indem man viele Turnvereine in dieser Gegend gründete. So kamen auch unsere von Frankfurt am Main kommenden Alsfelder Kaufleute auf den Gedanken, in ihrer Vaterstadt der deutschen Turnerei den Boden zu ebnen.
Am 18. April 1849 kamen elf junge Alsfelder Bürger im Gasthaus „Zur Krone“ zusammen und gründeten den Turnverein Alsfeld. Derselbe zählte 61 Mitglieder. Von damaligen Mitgliedern lebt keines mehr unter uns. Als letzter starb der in der frühesten Geschichte des Vereins eine Rolle spielende erste Sprecher Georg Knierim 1910.
Geturnt wurde im Jahre 1849 im Garten des ehemaligen Gasthauses „Zur Krone“ am Ludwigsplatz, von 1850 ab auf dem von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellten Platze unterhalb der „Concordia“. Am 23. Juni 1850 fand ein Turnfest in Alsfeld statt, wozu die Vereine des Lahnbezirksverbandes, zu welchem auch unser Verein gehörte, erschienen waren. Erste Sprecher waren Wilhelm Täschner 1849-1850, Heinrich Harnier und Georg Knierim 1851, Heinrich Meinhardt 1852. Das Protokollbuch, die alten Satzungen, Fahnen, ein Tambourstab und Akten geben Zeugnis von der Gründung und dem Leben des Turnvereins. Die enge Verschmelzung der Turnerei mit den politischen Bestrebungen jener Zeit brachte es mit sich, dass der politische Aufschwung die Turnsache stets fördernd belebte, während Rückschläge nicht ausblieben, wenn rückschrittliche Strömungen sich geltend machten. Die Geschichte unseres Vereins ist ein Beweis hierfür. Aber selbst die schärfsten behördlichen Maßnahmen konnten auf die Dauer den eigentlichen Lebensnerv der Turnerei nicht unterbinden. Die reaktionäre Zeit der 1850er-Jahre brachte es mit sich, dass die meisten Turnvereine polizeilich aufgelöst wurden. Um dem zuvorzukommen, gab man stillschweigend den Turnbetrieb auf in der Hoffnung auf spätere günstigere Zeiten. Die meisten ehemaligen Turner halfen im Jahre 1853 die Freiwillige Feuerwehr gründen, um hier in anderer Form der guten Sache zu dienen.
Im Stillen tagte und turnte man weiter, und als anfangs der 1860er-Jahre ein freierer Zug durch Deutschlands Gaue wehte und die Fesseln behördlicher Bevormundung allmählich verschwanden, fanden sich auch in unserer Stadt wieder die alten 1849er-Turner mit noch mehreren Bürgern, im Ganzen zunächst 24 junge Leute, zusammen, und belebten vom 5. Juli 1862 den Turnbetrieb von Neuem wieder. Von dieser Zeit an hat derselbe eine gesund fortschreitende Entwicklung genommen.
Die erste Generalversammlung wurde in dem Gasthaus „Zur Krone“ abgehalten und Georg Knierim zum ersten Sprecher gewählt. Geturnt wurde im Garten des ehemaligen Brauhauses Wallach am Bahnhof.
Im Jahre 1863 bildeten die Mitglieder des Turnvereins eine freiwillige Turnerfeuerwehr unter Leitung des ersten Sprechers Hauptmann Hoos. Diese vereinigte sich im Jahre 1876 wieder mit der städtischen Feuerwehr. Auch wurde um diese Zeit fleißig exerziert mit den von der Stadt geliehenen Gewehren nach Vorschrift der deutschen Wehrvereine.
Auf dem Marktplatz wurde am 2. Oktober 1864 dem Turnverein eine von den Frauen und Jungfrauen Alsfelds gestickte seidene Vereinsfahne durch Fräulein Tina Sander feierlichst überreicht. In großzügiger Weise wurde am 23. und 24. Juli 1865 auf der „Sanders Wiese“ (jetzt „Wallachs Wiese“) das III. Turnfest des Oberhessischen Gauverbandes abgehalten, womit gleichzeitig ein großes Schützenfest verbunden war.
Sehr verdient machte sich der Verein während des Feldzuges 1870/1871, indem er im Sanitätswesen in unserer Stadt Hervorragendes leistete. Hierfür wurde dem damaligen ersten Sprecher Georg Dietrich Hoos eine Ordensauszeichnung zuteil. Auch wurden ein größerer Geldbetrag und Liebesgaben an die im Felde stehenden Turner gesandt. Das Friedensfest wurde in Alsfeld am 18. Juni 1871 mit Pflanzung einer Friedenseiche am Ludwigsplatz gefeiert, woran sich auch der Turnverein beteiligte; hatten doch sechs Turner ihr Leben fürs Vaterland gelassen.
Vom Bezirk Hessen war dem Turnverein Alsfeld die Abhaltung des IV. Turnfestes des Bezirkes Hessen übertragen worden, welches am 16., 17. und 18. Juli 1873 auf der „Diegels Wiese“ (heute steht hier die Möbelfabrik) am Bahnhofe gefeiert wurde.
Bis 1875 turnte man in der sogenannten „Darre“ (heute Werkstatt der Glaserei Lenth). Von dieser Zeit an benutzte man die von der Stadtverwaltung bereitwilligst zur Verfügung gestellte Fruchthalle im Hochzeitshaus. Um auch das Sommerturnen besser zu pflegen, wurde 1875 ein eigener Turnplatz an der Marburger Straße jenseits des Bahngleises angekauft.
Wie überall in Deutschland beging man am 20. Juli 1878 die 100. Wiederkehr des Geburtstages Jahns mit einem Wettturnen nebst Volksfest.
Große Freude herrschte, als im Jahre 1886 der Turnverein das XV. Gauturnfest vom Gau Hessen übertragen bekam. Es nahm, gut vorbereitet – auf dem Lindenplatz einen glänzenden Verlauf.
Im Jahre 1887 wurde das alte Turnlokal im Hochzeitshaus verlassen und von da an in dem gut hergerichteten Turnsaale der Realschule geturnt.
Vom Jahre 1888 darf man einen neuen Abschnitt in der Geschichte des Turnvereins Alsfeld rechnen. In diesem Jahre übernahm unser hochverdienter Turnwart Johann Duseberg das Amt eines ersten Turnwarts und hatte dieses Amt bis zu seinem gelegentlich einer Turnfahrt erfolgten jähen Tod im Jahre 1900 inne. Was der Verein ihm für sein unermüdliches Wirken während einer nahezu dreizehnjährigen Tätigkeit zu verdanken hat, ist unerreicht und wird ihm unvergessen bleiben. Der Gau Hessen ehrte ihn und seine treue Tätigkeit dadurch, dass er ihn in den Gauausschuss berief, dem er lange Jahre angehörte.
Aufs Schönste verlief die Gauturnfahrt des Gaues Hessen, die für hier 1896 übernommen worden war. Das 50-jährige Stiftungsfest wurde am 22. April 1899 glanzvoll gefeiert durch einen großen Festkommers und ein Preisturnen, mit dem ein Volksfest verbunden war.
Lange schon sehnte man sich in Turnerkreisen nach einem eigenen Heim. Anregungen wurden in allen Versammlungen gegeben. Zähe hielten namentlich die Vorstandsmitglieder Duseberg, Hölscher, Diehl, Denn und Weitz an der Verwirklichung des Baues einer zeitgemäßen Turnhalle fest. Nach Überwindung mancherlei Schwierigkeiten konnte die neue Turnhalle gebaut und am 18. August 1901 eingeweiht und vom Turnverein als eigenes Heim bezogen werden.
28 Jahre herrscht nunmehr in dieser unserer Turnhalle ein frisch-fromm-fröhlich-freies Treiben. Eine Generation hat hier fleißig geübt, ihre Kräfte gestählt und sich einen gesunden Geist und Körper erhalten als Erbe Jahns und für die große vaterländische Sache.
Im Jahre 1902 wurde unsere alte, vierzig Jahre in Ehren getragene Fahne dem Alsfelder Museum überwiesen und eine neue, von den Frauen und Jungfrauen gestiftete, seidene Fahne am Tage der Weihe durch Fräulein Amalie Klingelhöffer überreicht.
Auf dem Turntag 1904 in Gießen wurde vom Turnverein Alsfeld das XXXII. Gauturnfest des Gaues Hessen für 1905 übernommen. Große Begeisterung und Freude löste diese Veranstaltung hier aus. Das Fest nahm unter Beteiligung der ganzen Bevölkerung einen glänzenden Verlauf.
Im Jahre 1906 bildete sich eine Singmannschaft und eine Frauenabteilung, sowie eine Männerriege und 1911 eine Fechtriege und eine Fußballriege. Als jüngstes Glied im Verein schlossen sich am 22. April 1912 45 Turner zu einer Sanitätskolonne zusammen. Der Zweck derselben bestand zunächst darin, bei einem Feldzuge den Kranken und Verwundeten hilfreich beizustehen. Haben doch unsere Turner im Feldzuge 1870/1871 sich schon in gleicher Weise hervorragend betätigt. Und wie bald trat unsere Sanitätskolonne in Tätigkeit! Am 1. August 1914 brach der unselige, mörderische Weltkrieg aus, und so mussten gleich am Anfang desselben vierzehn Sanitäter ins Feld abrücken zur Dienstleistung im Etappenlazarett Diedenhofen in Lothringen. Fast sämtliche aktiven Turner, sowie beinahe die Hälfte der passiven waren zur Fahne geeilt, um das Vaterland zu schützen. Mit den Zöglingen unter Führung des Gaurechners Hermann Post wurde der Turnbetrieb eifrig fortgesetzt. Da nur noch drei Vorstandsmitglieder nicht einberufen waren, teilten sich dieselben in die Geschäfte des Vereins. Es wurden Rektor Rudolph Vorsitzender, Carl Weitz Stellvertreter und Schriftführer, und Heinrich Heil Rechner, während Hermann Post die Stelle des Turnwarts versah. Hermann Post hat übrigens auch längere Jahre die Stelle eines zweiten Turnwarts und später einmal die Stelle des ersten Sprechers im Verein innegehabt. Welcher Wertschätzung er sich im Gau erfreute, beweist die Tatsache, dass ihn der Gauturntag seiner Zeit zum Gaurechner wählte, welches Amt er 25 Jahre bis zu seinem Ableben im Jahre 1926 in treuer Pflichterfüllung bekleidete.
Herzliche Begrüßungsworte widmete der erste Sprecher Rudolph in der Versammlung am 15. Februar 1919 den aus dem Weltkriege heimgekehrten Turnern; er gedachte ferner der im Weltkrieg gefallenen 33 Turner in einem ehrenden Nachruf. Ihr Heldentum mache sie uns teuer und unvergesslich und ihr leuchtendes Vorbild verleihe uns die Kraft, ihnen nachzueifern. Solches Heldentum erwachse auf den Turnplätzen Jahns. Zum bleibenden Gedächtnis der gefallenen Turner wurde am 21. Januar 1923 eine Ehrentafel in der Turnhalle enthüllt.
Eine Schülerriege trat im August 1920 mit insgesamt sechzig Knaben ins Leben und erfreut sich noch heute allgemeinen Interesses und reger Beteiligung. Wie ein Märchen wird spätere Geschlechter die Tatsache anmuten, wie sich die Geldentwertung im Turnverein bei den Mitgliederbeiträgen geltend machte. Im Februar 1923 mussten schon vom Vorstand die vierteljährigen Beiträge auf 300 Mark festgesetzt werden, im Juli auf 5.000 Mark, im September auf 100.000 Mark, im November auf 3 Milliarden.
Zum erstenmal fand in Alsfeld am 1. Juni 1924 ein Gau-Frauenwetturnen statt, welches durch die Ausführung eines reichen Programms recht interessant verlief und von vielen Frauenabteilungen aus dem Gau Hessen besucht war.
Gelegentlich der Weihnachtsfeier 1924 wurde unsere unter schweren Opfern erweiterte Turnhalle eingeweiht. Die neu hergerichtete Halle soll für immer die Stätte sein, wo echter Turnergeist wohnt, wo Kameradschaftlichkeit, Vertrauen, Liebe und Treue gehegt und gepflegt wird, wo ein wackeres Turnergeschlecht herangebildet wird.
Unter Mitwirkung der Musterriege des Gaues Hessen am Deutschen Turnfest in Köln am Rhein fand am 18. August 1928 die Feier der 150. Wiederkehr des Geburtstages Jahns statt. Zur Zeit liegt die Leitung des Turnbetriebs in bewährten Händen. Er gliedert sich in einzelne Abteilungen: Die aktive Turnerschaft mit Zöglingen, die Männerriege, die Frauenabteilung, die Schülerabteilung.
Von Mitbegründern des Turnvereins lebt keiner mehr. An noch lebenden Ehrenmitgliedern besitzt der Verein folgende:
Rektor Rudolph, Ehrenpräsident
Emil Wallach
Karl Hölscher
Karl Weitz
August Bastian
Georg Dickhaut
Erste Sprecher waren:
Wilhelm Täschner 1849-1850
Heinrich Harnier 1851
Georg Knierim 1851
Heinrich Meinhardt 1852
Georg Knierim 1862
Hermann Berck 1863-1864
Christian Bellinger 1865-1866
Georg Dietrich Hoos 1867-1877
Karl Waldeck 1878
J. B. Rötter 1878
Louis Köhler 1879-1882
Ernst Klingelhöffer 1883-1890
Karl Hölscher 1891-1902
Heinrich Müller 1903
Hermann Post 1904-1906
Fritz Ehrenklau 1906-1908
Philipp Rudolph 1908-1923
Karl Bellinger 1923-1924
Hugo Funk 1924-1926
Eduard Decker 1926-1928
Ludwig Bender 1928 bis heute.
Das Amt desersten Turnwarts übten seit Bestehen des Vereins bis heute aus:
Bernhard Kullmann 1849
Georg Mattern 1849-1853
*
Heinrich Waldeck 1863-1867
Carl Schmidt 1867-1868
Carl Waldeck 1868
Adam Hanitsch 1868-1869
Louis Decher 1869-1871
Heinrich Starke 1871-1874
Louis Decher 1874-1875
Theodor Bücking 1875-1878
Heinrich Starke 1878-1879
Carl Waldeck 1879-1881
Ernst Klingelhöffer 1881-1882
Engelhard Schmidt 1882-1884
Werner Müller 1884-1885
Louis Walter 1885-1886
Werner Müller 1886-1888
Johs. Duseberg 1888-1901
August Bastian 1901-1903
Lehrer Le Claire 1903
Georg Dickhaut 1903-1912
August Bastian 1912-1917
Hermann Post versah die Stelle eines Turnwarts 1917-1919
Fritz Kehm 1919-1925
Hans Thöt 1925-heute
Erfüllt von deutschem Geist und echtturnerischer Gesinnung, wollen wir der Fahne Jahns treu bleiben, um die, hervorgegangen im Sturme der Zeit, unsere Vorfahren sich treu scharten. Wir wollen uns aufs Neue bekennen als treue Jünger Jahns.
Gut Heil der edlen Turnsache und dem 56. Gauturnfeste!
Erstveröffentlichung:
Karl Weitz, 80 Jahre Turnverein Alsfeld, in: Turnverein Alsfeld, Festschrift zum 56. Turnfest des Gaues Hessen der Deutschen Turnerschaft, verbunden mit der Feier des 80-jährigen Bestehens des Turnvereins Alsfeld (20., 21. und 22. Juli 1929), S. 1-32, hier: S. 5-10.
[Stand: 10.05.2024]