Von Michael Rudolf, Alsfeld (1993)
„Radfahrer, welche geneigt sind, einer zweiten am hiesigen Platz begründet werdenden Radfahrer-Vereinigung beizutreten, sind höflichst gebeten, Mittwoch, den 28. des Monats, abends 8 1/2 Uhr, im oberen Lokal des Mainzer Hof dahier sich einfinden zu wollen.“ [01]
Mit dieser Anzeige warben begeisterte Radfahrer am 27. November des Jahres 1900 in der Oberhessischen Zeitung, dem Kreisblatt des Kreises Alsfeld, für die Gründung eines zweiten Radfahrervereins in Alsfeld. Schon seit 1890 existierte in Alsfeld ein Verein, der sich dem Radfahren widmete. Es war der „Alsfelder Radfahrer-Verein 1890“ (A.R.V.), von dem sich im Jahre 1900 mehrere Mitglieder abspalteten und für die Gründung eines Zweitvereines appellierten. Die Ursachen hierfür waren wohl innere Zwistigkeiten unter den Vereinsmitgliedern, wobei das sportliche Engagement in Frage gestellt wurde, sowie die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt auftretende Tendenz zur Vereinsbildung. Nach ihrem Zweck gab es politische, religiöse, wirtschaftliche und sportliche Vereine. In die zuletzt genannte Kategorie ließ sich der neuzugründende Radfahrerverein einordnen, der später den Namen „Radfahrer-Club Brabant 1900 Alsfeld“ trug. Die oben zitierte Annonce erschien nochmals am 28. November 1900 in der Oberhessischen Zeitung und erneut in dem „Alsfelder Anzeiger für Stadt und Land“, um die Bürger Alsfelds und die umliegende Einwohnerschaft für die Neugründung eines Radsportvereines im Ort zu gewinnen. Dank der großen Auflagen und der Verbreitung der Annoncen durch die beiden Zeitungen im Kreisgebiet konnte eine breite Schicht der Bevölkerung erreicht werden, um hierbei die Interessenten am Radsport zum Beitritt zu animieren. Die Resonanz war recht positiv, denn die Gründung des Vereins konnte noch am Abend des 28. November 1900 erfolgen. Die erste Nachricht und die somit vollzogene Gründung des Radfahrerclubs war durch einen Artikel am 1. Dezember 1900 [01.12.1900] in dem Anzeiger für Stadt und Land dokumentiert worden, der wie folgt lautete:
„Unter dem Namen ‚Radfahrer-Club Brabant‘ hat sich am letztvergangenen Mittwoch dahier eine zweite Radfahrer-Vereinigung gebildet, deren Tendenz unter Anderem auf Anschluss an die Allgemeine Radfahrer-Union gerichtet ist. – Die Einberufer der Versammlung, in welcher der Club gegründet wurde, waren sich sehr wohl bewusst, dass die Gründung eines zweiten Radfahrer-Vereins am hiesigen Platz nicht unbedingt erforderlich sei, konnten sich aber auch der Erkenntnis nicht verschließen, dass dahier Radfahrer ansässig seien, die sich sowohl für einen neuen Verein, als auch für die Radfahrer-Union interessieren. Dass sich die Einberufer der Versammlung in dieser Voraussetzung nicht geirrt, wird durch die relativ hohe Anzahl Mitglieder, mit der der Club gegründet wurde, bis zur Evidenz erwiesen. Der junge Verein wird allerdings noch mit mancherlei Schwierigkeiten, zu kämpfen haben, aber er wird dieselben überwinden, in Beherzigung der von ihm gewählten Devise: aspera nec terrent.“ [02] [Widrigkeiten schrecken nicht ab.]
Die Mitglieder des Vereins
Damit existierte ein zweiter Radsportverein in Alsfeld. Den Gründungsmitgliedern war die Tendenz zur Bildung einer zweiten Radfahrer-Vereinigung sehr wichtig, die auf den Anschluss an die Allgemeine Radfahrer-Union, dem Bund der Gesamtheit der vereinszugehörigen Radsportler Deutschlands, drängte. Diese Dachorganisation gab gleichfalls die Richtlinien zur Gründung und Führung des Vereins vor, aber organisierte auch das gemeinschaftliche Interesse aller Radsportbegeisterten in Deutschland.
Das Gründungslokal, der Mainzer Hof in der Mainzer Gasse, wurde zum Clublokal für die Mitglieder, in welchem man die zukünftigen Versammlungen abhielt, die gemeinschaftlichen Aktivitäten plante und zahlreiche Feierlichkeiten durchführte. Der Inhaber des Mainzer Hofs war bis 1904 Paul Hilgner, ein Gründungsmitglied des Brabant.
Laut Mitgliederliste [03], die noch fast vollständig erhalten ist, zählte der Verein am Gründungstag neun Mitglieder, die gleichzeitig als Gründungsmitglieder gelten können. Genannt sind die folgenden Personen: Abel Bonn (ausgetreten 1903), Fritz Grebner (ausgetreten 1903), Paul Hilgner (kein Vermerk), Ludwig Jost (Ehrenmitglied seit dem 23.01.1925), Jakob Knierim 2. (Ehrenmitglied seit dem 15.01.1921), Jean Lein (ausgetreten 1903, blieb aber mit dem Verein in Verbindung), Albert Mades (Ehrenmitglied seit dem 23.01.1925, passiv), Wilhelm Müller (verstorben am 30.04.1924) und Robert Waldeck-Tost (Ehrenmitglied seit dem 03.02.1924). Im Jahre 1900 trat noch Heinrich Schuchardt am 15.12. dem Verein hinzu, der allerdings 1905 den Brabant wieder verließ.
Es lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen, dass die Anzahl der Eintritte von einer großen Zahl von Austritten begleitet wird, wobei die Tendenz zum Beitritt weit höher lag als die eingereichten Abmeldungen vom Verein. Dabei war noch zu berücksichtigen, dass die Mitglieder, die zu einem späteren Zeitpunkt austraten, sich nicht alle auf einmal abmeldeten, sondern durchaus mehrere Jahre am Vereinsleben aktiv oder passiv teilhatten. So standen den 10 Anmeldungen in den Brabant des Jahres 1900 schon 1901 33 Neuzugänge, 9 Zugänge im Jahre 1902, 4 des Jahres 1903, 2 im Jahre 1904, 11 des Jahres 1905 positiv gegenüber. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Natürlich traten viele Mitglieder wieder aus, andere wurden durch Todesfall aus der Vereinsmitte gerissen, und manche mussten aus gesundheitlichen Gründen den Verein wieder verlassen. Zahlreiche Mitglieder waren im 1. Weltkrieg gefallen, deren Verlust man im Vereinsleben spürte, und nachträgliche Vermerke späterer Jahre zeigten den schmerzlichen Verlust von hochgeschätzten Mitgliedern während des 2. Weltkrieges.
Bei der Untersuchung ließen sich gewisse soziale und politische Tendenzen, die auf das Leben im Verein wirkten, genauso ablesen wie das Blühen und Gedeihen eines Radsportclubs, der durch die Anzahl seiner Mitglieder, sein Tun und Treiben und seiner gesellschaftlichen Stellung ein intaktes Vereinsleben in Friedenszeiten dokumentieren kann, wie auch Not und Elend der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik und die beiden Weltkriege ihre mehr negativen Spuren am Verein und seinen Aktivitäten hinterließen. Insgesamt war der Zuspruch zum Verein sehr positiv, was sich an der hohen Zahl von Mitgliedern ablesen ließ. Allerdings waren die Anmeldungen in den beiden Vorkriegsjahren 1913 und 1914 verschwindend gering (insgesamt nur 6 Eintritte), wobei im Jahre 1911 16 Anmeldungen und im Jahre 1912 sogar 22 Neuzugänge zu verzeichnen waren. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges stagnierte das Vereinsleben. Es wurden keine neuaufgenommenen Mitglieder verzeichnet, und die Aktivitäten wurden sehr stark reduziert. Hier ließ sich die fatale Wirkung eines Krieges auf das gesellschaftliche und sportliche Leben, ja die Existenzminderung geselligen Lebens, erkennen.
Ein Jahr nach Kriegsende, am 28. November 1919, fand sich wiederum der erste Eintrag über ein neuaufgenommenes Mitglied namens Wilhelm Meinel. Der nächste Vermerk in der Mitgliederliste stammte aus dem Jahre 1920. Es war Wilhelm Pfaff, der am 09.01.1920 dem Radfahrerclub hinzutrat und heute noch als das älteste Mitglied dem Verein angehört. Das Vereinsleben begann nach dem Kriege allmählich wieder seinen geregelten Gang zu nehmen, wenngleich große finanzielle Schwierigkeiten in der Zeit der Weimarer Republik und der späteren Inflation und Wirtschaftskrise auftraten. Dennoch gab es wieder eine relativ hohe Anzahl von Mitgliedern und ein Aufblühen des Brabant, wobei von 1919 bis 1931 287 Personen dem Verein beitraten. Wiederum waren es politische Ereignisse, die das intakte Vereinsleben zum zweiten Male jäh unterbrachen. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Machtergreifung musste die Selbständigkeit eines jeden Vereins aufgegeben werden. Im Rahmen der Gleichschaltung im totalitären Staat verlor auch der Brabant seine Eigenständigkeit und hörte laut Mitgliederliste und den für diese Zeit fehlenden Protokollen auf zu existieren, denn es wurden bis in das Jahr 1951, sechs Jahre nach Kriegsende, keine Eintragungen vorgenommen. Mit der Gründung der Bundesrepublik und einer langjährigen Friedensphase konnte sich der Radsportverein wieder etablieren. Dies äußerte sich gerade an der starken Zunahme seiner Mitglieder und seinen mannigfaltigen Aktivitäten.
Der Name
„Der Club führt den Namen: Radfahrer Club Brabant, Alsfeld.“ So hieß es schon in den 1912 erlassenen Statuten über den Namen, ohne darüber hinaus die Herkunft zu klären. Eine sicherlich seltene Namensgebung für einen Sportverein, aber die Gründungsmitglieder wollten vielleicht auf eine Beziehung aufmerksam machen. Beschäftigt man sich mit der Geschichte des Vereins, so musste der Name unwillkürlich zur Nachforschung anregen. Warum gaben die Gründungsmitglieder dem Club diesen seltenen Namen?
Nach längerem Recherchieren fand sich eine wohl andeutende historische Erklärung anlässlich des 10-jährigen Stiftungsfestes [04], welches am 25. Juli 1911 feierlich begangen wurde. Die Festrede hielt der „Herr Gerichtsvollzieher Lein aus Groß-Gerau, ein ehemaliger Vorsitzender des festgebenden Vereins“. Es handelte sich hierbei um ein ehemaliges Gründungsmitglied aus den Novembertagen des Jahres 1900, Jean Lein, der 1903 ausgetreten war und aus beruflichen Gründen Alsfeld verließ. Im Laufe seiner Festrede, nachdem er die erschienenen Festgäste und Radfahrer begrüßt hatte, wandte er sich der Herkunft des Namens zu. Lein betonte, „dass der Name Brabant ein Name aus einem unserer früheren Fürstenhäuser stamme“. So galt auch sein Hoch dem Herzog Ernst Ludwig von Hessen. Schenkt man den Worten des ehemaligen Vorsitzenden Glauben, wäre ein enger Zusammenhang zum hessischen Herrscherhaus gegeben. Das Haus Brabant war ein deutsches Fürstenhaus. Seinen Stammvater hatte es in Heinrich I., das Kind, dem Sohn Herzog Heinrich II. von Brabant und der Landgräfin Sophie von Thüringen, der Tochter der heiligen Elisabeth [05].
Heinrich erhielt im thüringischen Erbfolgestreit (1247-1263/1264) Hessen und wurde Begründer von Territorium und Dynastie. An diese historische Tatsache erinnerten sich, und das sei als Vermutung geäußert, die Gründungsmitglieder des Clubs. Zudem drückte der Name die Verbundenheit mit dem hessischen Herrscherhaus aus.
Gerade das beginnende 20. Jahrhundert war vom Kaisertum mit seinem imperialen Machtanspruch geprägt. Im Rahmen der Wiederfindungsbestrebung der Nationen seit dem 19. Jahrhundert und dem Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich in den Vereinsbildungen zeigte und sich noch bis zum 1. Weltkrieg steigerte, konnte sich ein Bund der sportlich Engagierten wiederfinden. Was bot eine bessere Grundlage als die Ereignisse der Landesgeschichte als der hessische Territorialstaat begründet wurde, nun das Historische zum Gegenwärtigen zu machen.
Wenn man in Anbetracht des starken Geschichtsbewusstseins der Zeit an die Gründungstage des Landes und die positive Vergangenheit erinnerte, verwunderte die Namensgebung überhaupt nicht. In vielen Schlussworten und Wünschen der Vorsitzenden jener Tage wurden stets das kräftige Gedeihen des Vereins für die Zukunft gewünscht, und nie fehlte ein Hoch auf den Landesfürsten, das Land und das Kaisertum. Die Namensgebung war sicherlich kein Zufallsprodukt, sondern sie zeigte die ganze Verbundenheit der Mitglieder mit den nationalen Geschehnissen der Zeit, einem Wiedererstarken der Nation im Rückblick auf die Vergangenheit, welches sich in der Namensgebung zum Herrscherhaus Brabant zeigen könnte.
Der Radfahrerverein als Institution
Der Fahrradclub Brabant hatte den Zweck, das Radfahren zu fördern und zu verbreiten und seinen Mitgliedern Gelegenheit zu geselligen, gemeinschaftlichen Ausfahrten und Versammlungen zu geben. Sehr wichtig war neben den sportlichen Aktivitäten die hohe Anzahl an Vergnügungen, die in der Geschichte des Vereins nie fehlen durften. Ein wesentlicher Punkt war die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls und damit auch die Repräsentation des Vereins nach außen. Mitglied des Clubs konnte jeder „Unbescholtene“ werden, der das 16. Lebensjahr überschritten hatte. Wie eine Vielzahl anderer Vereine, hatte man sich eine Reihe von Statuten auferlegt, welche das ordentliche Vereinsleben regelten. Leider konnten die Statuten des Gründungsjahres 1900 nicht mehr aufgefunden werden, wenngleich sich in diesem Zusammenhang die Frage erhebt, ob und in welcher Form der Verein in dieser frühen Zeit über eine Satzung verfügte. Die zugrundeliegenden Statuten traten mit dem 1. März 1912 in Kraft, wobei es eine Neuauflage des Jahres 1926 gab, die geringfügige Änderungen enthielt. In den Statuten wurden ordentliche Mitglieder verzeichnet, welche „die hiesigen radfahrenden Mitglieder waren“. Die Gruppe der außerordentlichen Mitglieder waren „diejenigen, welche, ohne selbst Radfahrer zu sein, die Interessen des Clubs durch ihren Eintritt zu fördern suchen sowie alle auswärtigen Mitglieder“. Eine besondere Stellung hatten die Ehrenmitglieder, die laut Satzung nur Mitglieder sein konnten, „welche sich als Mitglieder des Clubs in hervorragender Weise um den Club selbst und um das Radfahren im Club verdient gemacht haben“. Über die Aufnahme in den Verein entschied der Vorstand mittels geheimer Abstimmung. Interessant war ohne Zweifel der mit in die Satzung aufgenommene Passus, „dass kein ordentliches Mitglied gleichzeitig ordentliches Mitglied eines anderen hiesigen Radfahrervereins sein durfte“. In diesem Zusammenhang äußerte sich die Entscheidung des Jahres 1900, der Gründung des Brabant, und die damit tief verwurzelte Spaltung, die Distanz und die Unstimmigkeiten unter den Mitgliedern der beiden am Ort existierenden Radsportclubs. Jedem Mitglied stand der Austritt jederzeit frei und musste dem Vorstand schriftlich angezeigt werden. Natürlich waren die Angehörigen des Clubs an ihrem guten Ruf und der makellosen Repräsentation des Vereins in der Öffentlichkeit interessiert. „Sollte ein Mitglied durch sein Benehmen oder seinen Lebenswandel den guten Ruf des Clubs oder das gesellige Einvernehmen in demselben schädigen, sich den Statuten nicht fügen, insbesondere die polizeilichen Vorschriften außer acht lassen, so kann es auf Antrag des Vorstandes oder von mindestens drei Mitgliedern des Clubs durch Beschluss der Generalversammlung mit zwei Drittel Stimmenmehrheit ausgeschlossen werden.“ Auch den Säumniszahlern, die länger als sechs Monate mit ihren Beitragszahlungen in Rückstand gerieten, konnte durch Antrag der Ausschluss drohen. Der jährliche Beitrag war auf drei Mark festgesetzt und wurde vierteljährlich erhoben, wobei das Eintrittsgeld für ordentliche und außerordentliche Mitglieder zwei Mark betrug. Die Gesamtheit der Mitglieder, so schrieb es die Satzung vor, musste sich an den festgesetzten Versammlungen, den Ausfahrten und den Feierlichkeiten beteiligen. Dispens konnte nur der Vorstand hauptsächlich den älteren und den verheirateten Mitgliedern von den Veranstaltungen erteilen. Gerade bei den Clubfeierlichkeiten wurden die Mitglieder zum Tragen des eigens entworfenen Clubanzuges verpflichtet, wozu noch das Clubabzeichen gehörte. Die Statuten von 1912 beinhalteten noch einen Zusatz, der militärpflichtige Mitglieder betraf:
„Ordentliche Mitglieder, welche der Militärdienstpflicht genügen müssen, sind während der Dauer derselben von der Beitragspflicht befreit. Sie haben freien Zutritt zu allen vom Club veranstalteten Festlichkeiten.“ Dieses Satzgefüge wurde in den Statuten von 1926 ersatzlos gestrichen, da die Wehrpflicht seit 1920 bis 1935 in Deutschland nicht bestand. Generell galt aber das strenge Stillschweigen über innere Clubangelegenheiten.
Der Vorstand des Jahres 1912 bestand aus insgesamt neun Mitgliedern. Der erste und zweite Vorsitzende, der erste und zweite Schriftführer, der Rechner, der erste und zweite Fahrwart, der Beisitzer und der Zeugwart repräsentierten den Verein. 1926 wurde der Vereinsvorstand noch um den Posten eines Saalfahrwartes und eines zusätzlichen Beisitzers erweitert. Die Wahl der Repräsentanten erfolgte in der Jahreshauptversammlung in geheimer Abstimmung und in getrennten Wahlgängen. In den Vorstand konnten nur ordentliche Mitglieder gewählt werden. Der Vorstand des Vereins hatte nun gewisse Rechte und Pflichten, wodurch seine Funktion bestimmt war. Der erste Vorsitzende galt gleichzeitig als der Vertreter des Clubs nach innen und außen. Ihm oblag der Vorsitz bei allen Zusammenkünften und Versammlungen. Er kontrollierte sämtliche Clubangelegenheiten und Geschäfte, wobei er in Dringlichkeitsfällen ohne Vorstandsbeschluss entschied.
Der zweite Vorsitzende trat in Abwesenheit des ersten an dessen Stelle. Die beiden Schriftführer hatten sich um die gesamte Korrespondenz zu bemühen, die Protokolle der Vorstands-, Haupt- und Generalversammlungen zu erstellen; die Mitgliederliste wurde von ihnen geführt. Sie übernahmen auch die Pressearbeit, welche die Verbreitung wichtiger Vorkommnisse im Club durch Artikel in den Zeitungen betraf.
Die Position des Rechners war eindeutig. Er war für die Einziehung der Aufnahmegebühren und der Beiträge verantwortlich. Ebenfalls musste er aus der Clubkasse die anfallenden Rechnungen begleichen. Er führte eine Liste, worauf die Ausgaben und Einnahmen bei Festlichkeiten und Rennen verzeichnet waren.
Von besonderer Wichtigkeit für den Verein mit seinen sportlichen Aktivitäten waren die beiden Fahrwarte und der spätere Posten des Saalfahrwartes. Die Fahrwarte zeichneten für die Ausschreibung der gemeinschaftlichen Clubtouren im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden verantwortlich. Ihnen oblag die Leitung der Touren sowie der Führung der Statistik über die Beteiligung. Sie organisierten die Preistouren und die Straßenrennen. So hatten die Fahrwarte die Leitung über die vom Club veranstalteten Straßenrennen sowie der Besetzung eingerichteter Kontrollpunkte, der Straßenkreuzungen und der wichtigen Erfrischungsstationen. Der Saalfahrwart leitete hingegen das gesamte Saalfahren in den Wintermonaten. Hier wurden keine Straßenrennen gefahren, sondern das Reigen-, Kunstrad- und Einradfahren geübt und gepflegt. Allerdings wurden auch im Sommer diese Disziplinen in der Halle einstudiert.
Das dem Verein gehörende Inventarium verwaltete der Zeugwart, der darüber ein Verzeichnis führte.
Der Radfahrerverein Brabant gab sich zudem noch eine Fahrordnung, um das sportliche oder das gesellige Ausfahren genauen Regeln zu unterwerfen. Die Leitung der Clubtouren hatten die Fahrwarte, deren Anweisung genau Folge zu leisten war. Bei Abwesenheit der Fahrwarte konnte ein Vorstandsmitglied die Leitung übernehmen oder „die teilnehmenden Mitglieder wählen erforderlichen Falls einen Führer aus ihrer Mitte, der in die Rechte des Fahrwartes eintritt“. Bei Zuwiderhandlungen konnte der Mitfahrende sogar bestraft werden: „Wer sich wiederholt den Anordnungen des Führers widersetzt, kann von demselben mit Strafen bis je 50 Pfg. belegt werden.“ Die Beteiligung an den Fahrten sollte im Clubanzug mit angestecktem Clubabzeichen erfolgen. Die Durchführung der Clubtouren wurde exakt festgeschrieben, denn der Teilnehmer hatte sich „spätestens fünf Minuten vor der festgesetzten Abfahrtszeit, die pünktlich eingehalten wird, am Sammelplatz einzufinden“. Es wurde zudem die Fahrgeschwindigkeit vorgeschrieben, „die zwischen 10 und 15 Kilometer per Stunde liegen sollte, und, sie „wird den Terrain-Verhältnissen angepasst“. In der Fahrordnung wurde auf die Beachtung der bestehenden Polizeivorschriften aufmerksam gemacht, damit man nicht zu einem öffentlichen Ärgernis wurde. Eine mehr vereinsinterne Verfügung war ein Zusatz in den Satzungen, der wie folgt lautete: „Es ist streng verboten, dem führendem Fahrwarte vorzufahren, oder sich ohne dessen Wissen während der Tour zu entfernen.“
Die Auflösung des Radfahrer-Clubs „Brabant“ konnte solange nicht ausgesprochen werden, wie sich drei seiner Mitglieder zur Fortführung des Vereins verpflichteten. So kann der Brabant in unseren Tagen bereits auf seine 92-jährige Geschichte zurückblicken [06].
Die Rolle des Fahrrades
Es sollte vielleicht vorab auf die bedeutende Rolle des Fahrrades aufmerksam gemacht werden. Die Fahrradwissenschaftler setzten sich schon immer damit auseinander, wann und von wem das erste Zweirad gebaut wurde. Die erste bekannte historische Darstellung eines Radfahrers zeigt ausgerechnet einen splitternackten flügellosen Posaunenengel in einer achtfarbigen Glasmalerei, die bis zum 2. Weltkrieg die englische Kirche St. Giles in Stoke Poges bei Windsor zierte. Das Gotteshaus stammte aus dem Jahre 1642. Nun wurde um die mysteriöse Abbildung gerätselt, denn diese frühe Existenz eines Fahrrades wäre der Beweis, dass es schon im 17. Jahrhundert jene Reiträder gegeben hätte, deren früheste Vertreter die Zweiradhistoriker erst aus der Mitte des 18. Jahrhunderts kannten. Wie dem auch sei, sicher ist, dass um 1750 in der Nürnberger Gegend und im schlesischen Raum hölzerne Zweiräder mit einem sehr einfachen starren Rahmen gebaut wurden. Die Nürnberger Konstrukteure verwendeten zwei hintereinander laufende Räder; man trieb eine solche Maschine nicht durch einen besonderen Mechanismus, sondern durch Abstoßen mittels der Fußspitzen des Fahrers an, welcher auf seinem sich zwischen den Rädern befindlichen Sattel saß. Ohne Kraftanstrengung konnte man eine Strecke mit emporgezogenen Füßen fahren. Eine Lenkvorrichtung war aber an diesen Maschinen nicht angebracht. Schon 1813 entwickelte der Freiherr Carl Friedrich von Drais seinen ersten Muskelkraftwagen, scheiterte aber an den Straßenverhältnissen seiner Zeit, denn Sand und Kies, Schlaglöcher und Schlamm schluckten die meiste Energie des Fahrers. Drais gab nicht auf und fand die Lösung in der einspurigen Muskelkraftmaschine. Er ging davon aus, dass zwei Räder den halben Reibungswiderstand wie vier hatten. Der Freiherr konstruierte 1816 das erste lenkbare Laufrad, das er zwei Jahre später zum Patent anmeldete. In seiner Heimat verspottet, wandte sich Drais an das für die Technik aufgeschlossene Frankreich und beschrieb sein „Velociped“, wie er sein Zweirad nannte, in einer zeitgenössischen Annonce. Eine der wichtigsten Aussagen war, dass das Velociped „thatsächlich“ liefe, „während der Fahrer sich kurze Zeit ausruht, mit derselben Geschwindigkeit, als wenn die Füsse in der größten Bewegung bleiben, und bergab schlägt es die besten Pferde um eine bedeutende Strecke, ohne dass man dabei häufigen Unglücksfällen ausgesetzt ist, weil man unabhängig von der Bremse…, stets in der Lage ist, seine Maschine mittels der Füsse anzuhalten.“ [07]
Mit diesen und weiteren Worten warb Freiherr von Drais für den Absatz seiner gar so fremden neuen Errungenschaft und begründete damit die Geschichte des heutigen Fahrrades.
Aber es war noch ein weiter technischer Weg bis zur Gestalt unseres heutigen Fahrrades. 1850 brachte Fischer aus Schweinfurt am Vorderrad die Tretkurbel an. Elf Jahre später entstand das Velociped, ein Hochrad des französischen Konstrukteurs Michaux. 1884 bauten Starley und Sutton (England) das Niederrad mit Kettenübersetzung zum Hinterrad. 1904 erfand Ernst Sachs aus Schweinfurt die „Torpedo“-Freilaufnabe, kurz darauf die Rücktrittbremse. Aus dieser historischen Schilderung lässt sich nun unschwer die Gestalt des Fahrrades im Gründungsjahre des Brabant und der Folgezeit ablesen. Zwar gab es den luftgefüllten Reifen schon seit 1890, aber die Härte der Reifen machte sich beim Niederrad äußerst bemerkbar. Nicht jeder potentielle Käufer konnte sich sogleich mit dem Fahrrad anfreunden, wie ein zeitgenössisches Zitat bewies: „Wir pflegten Familienfahrten zu machen, alle miteinander; mein Vater voraus auf einem Fahrrad, und der arme Charles stand höchst unbequem auf der Stange hinter seiner Mutter, er hielt sich fest, als ginge es um sein Leben. Ich empfand es als schwere Arbeit auf meinen harten Reifen voranzukommen; ein glanzvoller, aber kein angenehmer Zeitvertreib.“ [08] Weder ein zeitgenössisches Protokoll, noch ein Vermerk gaben Aufschluss über den Bestand und die Gestalt der verwendeten Fahrräder des Brabant. Aus den oben genannten Beschreibungen kann sich aber durchaus ein Bild entwickeln.
Aus der gesteigerten Fahrradproduktion heraus sollte auf das Fahrrad im Sinne des alltäglichen Gebrauchsgegenstandes als Fortbewegungsmittel aufmerksam gemacht werden. Das Fahrrad setzte seinen Eroberungsfeldzug ins tägliche Leben fort und beschleunigte diesen, wobei der Erwerb eines solchen Stahlrosses nicht für jedermann möglich war. Im Rahmen der Entstehung der Fahrradvereine wurde das Fahrrad aus seiner alltäglichen Gebrauchssituation entfremdet und wurde dem Vergnügen, den sportlichen Aktivitäten, den geselligen Ausfahrten und der Aufführung von Kunststücken durch das Reigen- und Kunstradfahren sowie dem späteren Radball- oder Radpolosport zugeführt.
Die Veranstaltungen
Nun wurde im Radfahrerclub Brabant Alsfeld seit seiner Gründung so manche Veranstaltung durchgeführt. Schon am 7. Dezember 1900 [09], zehn Tage nach der Gründung des Vereins, befand sich in der Oberhessischen Zeitung ein Artikel über das erste öffentliche Auftreten der Mitglieder. Eine mehrköpfige Delegation des „Hauptconsulats“ der Allgemeinen Radfahrer-Union aus Fulda war zu Besuch des Brabant. Ungefähr vierzig Radfahrer waren im oberen Lokal des „Mainzer Hof“ erschienen. Der Vorsitzende des Brabant, Jean Lein, hieß die Gäste im Namen des Vereins willkommen und brachte ein „All Heil“ auf die Radfahrer-Union aus. Der Vorsitzende des Hauptconsulats namens Ruppert dankte dem Brabant für die Einladung und wies darauf hin, „dass überall, wo Radfahrer versammelt, auch Patriotismus vorhanden sei“. Dieser Patriotismus drückte sich gerade in der Verbundenheit mit dem Landesfürsten aus, denn „[…] befinden wir uns im Großherzogthum Hessen und wir dürfen des Fürsten dieses Landes, der dem alten, ruhmreichen Geschlecht der Brabanter entstammt, nicht vergessen“. Ein weiterer Beweis, dass der Name des Clubs in engem Zusammenhang mit dem Fürstenhaus Brabant stammt. Mit größter Begeisterung des Publikums wurden die Worte und das „All Heil“, der Gruß der Radfahrer, auf die königliche Hoheit Großherzog Ernst Ludwig durch den Vorsitzenden aufgenommen. Sehr bald entwickelte sich ein fröhliches Treiben, die Vorträge mancher Herren stimmten zur Heiterkeit an. Die Kapelle „Spannknebel“ untermalte musikalisch die Festlichkeit, und als diese das „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“ intonierte, wusste jeder der Anwesenden, dass „es jetzt wieder ans Scheiden gehe“. An diesem und vielen folgenden Artikeln zeigte sich die ganze Ausgelassenheit der Radfahrer und das Vergnügen, solche Festlichkeiten zu begehen. Damit lief das Jahr 1900 aus.
Die nächste Versammlung schloss sich erst wieder am 12. Januar 1901 an [10] wobei der Wortlaut der Annoncen immer wieder die Bereitschaft erkennen ließ, neue Mitglieder aufzunehmen. Neben diesen Versammlungen, in welchen die sportlichen Aktivitäten geplant und besprochen wurden, über die Wanderfahrten und Clubtouren debattiert wurde sowie die Besprechungen der späteren und großen Winterfeste erfolgten, gab es auch Zusammenkünfte kultureller Art, die sich über die gesamte Vereinsgeschichte erstreckten. Als Beispiel für diesen Sachverhalt sollte die Annonce vom 9. Februar 1901 dienen. [11] Der Radfahrerclub lud die Bevölkerung nachmittags vier Uhr zur Rezitation der Gedichte „Leonardo und Blandine“ und „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“ durch ein Mitglied in das Vereinslokal ein. Nicht nur an die Pflege des Radfahrens und des Radsportrennens wurde gedacht, sondern man widmete sich auch den literarischen und musikalischen Gütern. Sportliches und kulturelles Engagement war von den Vereinsmitgliedern gewünscht und gefördert worden. Neben dem vereinsinternen Radfahren bot sich für die Mitglieder des Brabant und der Bevölkerung stets die Möglichkeit, an den Wanderfahrten des Deutschen Radfahrer Bundes [12] teilzunehmen. Dieser führte im Jahre 1901 drei große Fahrten durch, die erste an Pfingsten durch Thüringen, die zweite durch Dänemark und Norwegen, die dritte am 25. August an den Rhein. Diese Möglichkeiten an größeren Fahrten bestanden stets für die Alsfelder.
In den Sommermonaten Mai, Juni und August hatten vor allen Dingen die Straßenrennen, die vom Verein veranstaltet wurden, Hochkonjunktur. Am 15. Mai 1901 hatte der Brabant bereits auf sein erstes Straßenrennen aufmerksam gemacht, welches der Club vier Tage später durchführen wollte. Hierbei sollte die gemeinsame Abfahrt um 14.15 Uhr vom Mainzer Hof aus erfolgen. Nach Beendigung des Rennens ging man zur Preisverteilung über, und ein Konzert bei freiem Eintritt auf dem Lindenplatz schloss sich an. Das Ganze hatte Volksfestcharakter, denn den Besuchern und den Radfahrern wurden allerlei Unterhaltungen auf dem Platz geboten, wie „Caroussel, Schießbude, Panorama“, und die Kapelle unterhielt die Besucher während des Rennens. Das Rennen selbst wurde auf der Eudorfer Straße durchgeführt. Es enthielt die Disziplinen des Eröffnungsfahrens, des Hauptfahrens (10.000-m-Strecke), des Trostfahrens (3.000-m-Strecke) und eines besonderen Wettbewerbs, des Langsamfahrens (100-m-Strecke). Die nachfolgende Annonce im Anzeiger für Stadt und Land beschrieb das Fest als sehr gelungen, denn es zeigte sich gleichzeitig, „dass dieser junge Verein unter seinen Mitgliedern unternehmungslustige und thatkräftige Leute hat“. Am Sonntagmorgen um halb sieben fand das Eröffnungsfahren statt, welches vorbehaltslos für die Mitglieder vorgesehen war. Das Straßenrennen entfaltete sich auf einer „10.000 Meter langen Strecke“. Sechs Fahrer des Brabant beteiligten sich daran. Als erster Fahrer erschien Ludwig Jost (19 Min., 15 Sek.), als zweiter kam Fölsing (19 Min., 20 Sek.), als dritter Grebner, als vierter Gebauer ins Ziel. Grebner war kurz vor dem Ziel der Luftschlauch geplatzt und musste sein Rad ins Ziel tragen. Als auswärtige Fahrer waren Hersfelder, Schlitzer, Fuldaer und Frankfurter beteiligt, die von der Veranstaltung mehrere Preise mit nach Hause nehmen konnten. Die Gäste reisten entweder mit der Eisenbahn an oder fuhren schon mit ihren Rädern nach Alsfeld.
Die Alsfelder Fahrer nahmen aber auch an zahlreichen Straßenrennen in benachbarten oder in weiter entfernt liegenden Städten teil. Am 17. Juni 1901 enthielt der Anzeiger einen Bericht über die Teilnahme am Straßenrennen in Hersfeld, bei welchem „Bernhardt und Jost aus Alsfeld“ starteten. Zwar waren die Alsfelder am Hauptfahren nicht beteiligt, aber erzielten doch auf der 5.000-Meter-Strecke schöne Erfolge. Gerade Ludwig Jost bedrängte den Hersfelder Fahrer Hein sehr stark und kam als zweiter durchs Ziel. Jost war nur zwei Sekunden langsamer. Die Zeitung berichtete: „Jost, der eingesehen haben mochte, dass er mit seinem alten Tourenrad nicht gegen die mit guten Rennrädern versehenen Hersfelder ankommen kann, hatte sich einen vorzüglichen Brenabor-Renner verschafft, mit welchem er das Rennen in Hersfeld fuhr. So war er auch diesen gewachsen.“ Ebenfalls am 8. Juni 1901 beteiligten sich Alsfelder Fahrer, Fröhlich und Jost, an Straßenrennen der Allgemeinen Radfahrer-Union in Fulda. Beim Trostfahren errang Jost den ersten Platz, einen dritten Platz erreichte Fröhlich. Die Mitglieder des Brabant beteiligten sich in Fulda an der Corsofahrt, neben Bischofsheim, Eisenach, Hersfeld und Schlitz. Diese Straßenrennen nahmen im Laufe der Geschichte des Vereins immer mehr ab. Im Jahre 1902 veranstaltete der Brabant ein großes Radfahrerfest, bei welchem schon bei der Begrüßung der Gäste ein eindrucksvolles Kunstfahren auf dem Festplatz durchgeführt wurde. Freilich, nach dem Weckruf um 6 Uhr begann ein Rennen auf der Straße von Alsfeld nach Dotzelrod mit anschließender Preisverteilung. Neben diesem Rennen, das noch 1901 die Hauptveranstaltung war, legte der Brabant immer mehr Wert auf das Kunstfahren, so dass das Straßenrennen allmählich in den Hintergrund trat. Im festlichen Rahmen, unter Musikbegleitung wurde während dieses Festes die Bannerweihe durchgeführt. Dank des sich gut entwickelten Mitgliederstandes konnte in diesem Jahr 1902 bereits ein Banner angeschafft werden, das noch heute existiert und vom Verein aufbewahrt wird.
Jetzt legte man den Schwerpunkt auf das Reigenfahren. Dieses Fahren war eine Art Kunstfahren nach festgelegten Figuren, meist auf einer Fahrfläche von 11×14 Metern. 4 oder 6 Personen bildeten eine Mannschaft, welche sportliche Formationen fuhren. Dabei radelten sie Kreise, trennten sich aus der Gruppe heraus, fuhren aneinander vorüber, trafen wieder zusammen und fuhren phantasievolle Figuren, wobei die gezeigten Formationen für die punktgebenden Schiedsrichter schriftlich festgelegt sein mussten. In dieser frühen Zeit gab es nur männliche Mannschaften, wozu später auch gemischte Zusammensetzungen im Brabant vorkamen. Bei diesem Fahren mussten Reihenfolge und Zeit genau eingehalten werden. Eine andere Disziplin war das Kunstradfahren. Der Ablauf war fast mit dem Reigenfahren identisch. Eine oder zwei Personen präsentierten den Zuschauern ihre einstudierten Figuren auf dem Rad, ebenfalls auf einer Fahrfläche von 11×14 Metern. Das Ganze war ein sportlicher Wettbewerb, und die Schiedsrichter vergaben ihre Punkte, wobei der eine oder andere Pokal für den Verein erkämpft werden konnte. Nicht zu vergessen war das Korsofahren, das auch ein Wettbewerb, ein Preis-Korso, sein konnte. Modern gesprochen war dies ein Festzug, der damals als Korso bezeichnet wurde.
Die gesamten Straßenrennen oder Radsportfeste, wie auch die Beteiligung an den Umzügen der anderen Alsfelder Vereine, wurden meist mit einem Festzug im offiziellen Teil beendet. 1908 nahm der Brabant am Umzug des Bezirks- und Kriegerfestes zu Alsfeld teil und fuhr zum Festprogramm einen „Sechser-Reigen“: Die Teilnahme beim Korsofahren erfolgte mit geschmückten Rädern. Im Clubanzug führte man sein Fahrrad mit rot-weißem Band in Vorder- und Hinterreifen in diesem Festzug mit, wobei das Vereinsbanner vor den Mitgliedern getragen wurde. Spätestens 1924 wurde das Radballspiel eingeführt. Hier bildeten zwei Spieler eine Mannschaft. Mit den Fahrrädern führte man den Ball und versuchte, wie im Fußball, die andere Mannschaft, in dem klar umgrenzten Spielfeld durch mehrere Torzähler auszuschalten [13].
Bei all diesen Aktivitäten und Festlichkeiten sollte aber nicht vergessen werden, dass diese Veranstaltungen bei der Obrigkeit nicht gerne gesehen wurden. Im Jahre 1902 gab es einen Artikel in der Heimatzeitung, der auf die bevorstehende Einschränkung der Vereinsfeierlichkeiten abzielte: „Auf ministerielle Weisung hin werden von den Kreisämtern Maßnahmen vorbereitet, die darauf hinauslaufen, in ländlichen Bezirken auf die Beschränkung der Vereins- und sonstigen Festlichkeiten hinzuarbeiten.“ Die geplante Verordnung schreckte die Mitglieder des Brabant aber in keinster Weise, denn sie hielten weiterhin ihre Vereinstreffen und Festlichkeiten ab. 1905 entschied die Versammlung der Allgemeinen Radfahrer-Union, dass am 17. und 18. Juni das diesjährige „Haupt-Consulatsfest“ in Alsfeld stattfinden sollte. Es begann mit einem Kommersabend im Vereinslokal, dem Mainzer Hof. Zahlreiche Veranstaltungen waren in diesem Zusammenhang geplant, wie ein Straßenrennen von Alsfeld nach Altenburg. Von dort fortsetzend nach Brauerschwend und wieder zurück. Der Preiskorso sollte vom Bahnhof durch die folgenden Straßen geführt werden: Alicestraße, Obergasse, Marktplatz, Amthof, Hersfelder Straße, Kreisamt, Untergasse, Roßmarkt, Mainzer Tor, Romröder Straße und Festplatz. Niedergehende Regenschauer führten aber zum Abbrechen des Umzuges am Marktplatz, und der schnellste Weg zum Festplatz wurde gesucht. Die Stadt war in den Hauptgassen beflaggt und geschmückt. Die Reigen- und Kunstradfahrer wechselten sich am Festplatz bei ihren Vorträgen vor dem zahlreich erschienenen Publikum ab. Neben zahlreichen Reden, der Preisverleihung an die Gewinner der Wettkämpfe, schlossen sich eine Tanzveranstaltung und ein Konzert an.
Der Brabant beteiligte sich auch am Sommerfest des Radfahrervereins 1890 im Juni 1908. Hier schien die geführte Auseinandersetzung zunächst beigelegt. Weitere Vermerke über den Verlauf fehlten allerdings. Ein Jahr später nahm der Brabant beim Festzug des Gesangsvereins „Liederkranz“ teil, wobei im Festzug der Brabant an zweiter Stelle dem Radfahrerverein 1890 folgte. Beide Vereine zeigten den Zuschauern am Festplatz ihr Können beim Reigenfahren. Mehrere Veranstaltungen dieser Art schlossen sich im Vereinsleben an. Hier sollte allerdings nur ein kurzer Überblick über das rege Vereinsleben gegeben werden.
Von Wichtigkeit in diesen frühen Jahren des Vereins war sicherlich das 10-jährige Stiftungsfest, welches am 25. Juli 1911 in Verbindung mit einem Sommerfest festlich begangen werden sollte. Zahlreiche auswärtige Gäste waren nach Alsfeld gekommen. Von 11-12 Uhr fand ein Konzert auf dem Marktplatz statt. Von Mittag ab führte ein Festzug durch die Stadt, an welchem eine Anzahl hiesiger wie auch auswärtiger Vereine teilnahmen. Der Vorsitzende des Vereins, Jakob Knierim 2, begrüßte alle Erschienenen auf das herzlichste und dankte den Einwohnern Alsfelds für die Schmückung der Stadt. Die Festrede hielt der ehemalige Vorsitzende Jean Lein aus Groß-Gerau, der auf die Vereinsgeschichte aufmerksam machte. „Im Namen der Jungfrauen und Frauen des Clubs überreichte Fräulein Anna Mades eine Fahnenschleife sowie der Vorsitzende des Alsfelder Radfahrervereins 1890, Heyn, einen Fahnennagel mit den Wünschen auf ferneres Blühen, Wachsen und Gedeihen des Clubs“, so ein Auszug aus dem Artikel über das Stiftungsfest. Der Gesangverein Liederkranz rundete die Festlichkeit ab, wobei am Nachmittag noch Reigenfahren der beiden Alsfelder Radfahrervereine sowie Stemmen und Ringen des Fuldaer und Alsfelder Stemm- und Ringklubs stattfanden. Die Feierlichkeiten verliefen auch am Festmontag noch mit Tanz und Musik bis in die frühen Morgenstunden.
Eine fest eingeplante und fast jedes Jahr durchgeführte Veranstaltung war das sogenannte „Wintervergnügen“. „Die Generalversammlung am Sonntag im Gambrinus beschloss unter anderem ein Wintervergnügen mit Musik am Neujahrstage im Deutschen Haus abzuhalten“, so der Artikel vom 14. November 1911 im Anzeiger für Stadt und Land. Dieses Fest galt als eine nicht wegzudenkende Veranstaltung in der Vereinsgeschichte, wobei die Durchführung allerdings von der jeweiligen Finanzkraft des Vereins abhing. Einen ersten Bericht über ein geplantes Winterfest enthielt eine Annonce in der Lokalzeitung vom 8. Januar 1902.
Hier lud der Brabant die Einwohnerschaft von Alsfeld ein, wobei ein ausgewogenes Unterhaltungsprogramm mit kulturellen und sportlichen Höhepunkten präsentiert werden sollte. Die Feierlichkeit fand im großen Saal „zum Deutschen Kaiser“ statt. Eine große Anzahl von Winterfesten kann in der neunzigjährigen Vereinsgeschichte aufgezählt werden, wenngleich diese seit den 1980er Jahren nicht mehr durchgeführt wurden. Neben den Winterfesten wurden auch Wohltätigkeitsfeste initiiert, die nach den Begrüßungs- und Eröffnungsgesprächen Filme und Theateraufführungen vorsahen. Aber auch das Reigen- und Kunstfahren der Mitglieder wurde den Gästen nicht vorenthalten. Im Laufe der Zeit wurde gerade das Wintervergnügen von der Alsfelder Bevölkerung sehr gerne angenommen und konnte sich eines großen Zuspruchs erfreuen, so dass es durchaus zu einem bestehenden Kulturprogramm der Stadt gehörte. Wenn auch nicht über jedes Fest in der Zeitung berichtet wurde, so gaben die teils noch erhaltenen Protokolle von 1912 bis 1935 Aufschluss über die Vereinsaktivitäten, die nicht gering waren. Seit 1914 waren die Zeitungen angefüllt mit Kriegsberichtserstattungen, so dass die privaten Artikel gänzlich in den Hintergrund traten. Auch das Vereinsleben im Brabant kam mehr oder weniger zum Stillstand, denn Zeitungsbeiträge gab es nicht mehr. Am 20. Januar 1914 war die vorerst letzte Veranstaltung des Vereins bis ins Jahr 1921, ein Wintervergnügen, organisiert und durchgeführt worden. Zwar begann das Vereinsleben wieder 1921, aber viele der ehemaligen Sportkameraden waren im 1. Weltkrieg gefallen. Mit dem Aufruf des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen vom 8. August 1914 wurden zahlreiche Hessen, darunter auch militärdienstpflichtige Brabanter an die Front gerufen, was in der Folgezeit zum vorläufigen Ende des Vereinslebens führte [14].
Nach 1921 wurde in einer Art Neugründung das sportliche Engagement wieder aufgenommen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass weit weniger Straßenrennen gefahren wurden als in den Vorkriegsjahren. Die Mitglieder wandten sich mehr dem Reigen- und Kunstradfahren, dem Radball- und Radpolosport zu. Diese beiden zuletzt genannten Disziplinen kamen als Neuerungen ins Vereinsleben und werden hauptsächlich heute noch betrieben. In diesen Jahren hatten die Mitglieder mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn aus dem Jahresbericht 1919 war zu entnehmen, dass kaum über Fahrradbereifungen verfügt werden konnte. Die Preissteigerung tat ihr übriges, die ein Erwerben von Material und Gerät fast unmöglich machten. Trotzdem beteiligten sich einige Mitglieder am Gautag des Gaues 9A des Deutschen Radfahrerverbandes am 30. September 1919 in Alsfeld. 1920 hielt der Brabant erstmals nach dem Kriege ein Wintervergnügen im Deutschen Haus ab, bei dem es Tanz und Theateraufführungen gab. Die Mitglieder entschlossen sich zur Durchführung einer solchen Festlichkeit, „damit das Unangenehme, das der Krieg brachte, einigermaßen wieder vergessen wird. Dies zu erreichen soll unsere Aufgabe in den kommenden Jahren sein.“ Die weiteren Berichte zeugten vermehrt von Lebensmut und damit auch von geplanten sportlichen Aktivitäten, die sogar über die Alsfelder Gemarkungsgrenzen hinaus führten. Im Jahre 1922 waren erstmals in der Vereinsgeschichte Frauen dem Club beigetreten, so dass der reine Männerbund durch die sich für diesen Sport interessierenden Damen erweitert wurde. 1924 hatte der Club schwere finanzielle Nöte, was sich an der Einschränkung der Aktivitäten und des Erwerbs von Sportgut zeigte, wobei das folgende Jahr aus den roten Zahlen herausführte. Zum 25. Jubiläum stand der Verein mit an der Spitze der Alsfelder Vereine, und dies war der Tatkraft der Mitglieder zu verdanken. Rückblickend war festzustellen, dass sich der Verein von den auf ihn wirkenden Kriegsfolgen rasch erholte und ein intaktes Vereinsleben der beginnenden 20er-Jahre zu bescheinigen war. Doch 1926 ergab sich eine Spaltung im Verein. In diesem Jahr gründeten junge Mitglieder des Clubs einen dritten Radfahrverein in Alsfeld, der sich aber bald wieder auflöste und die „Abtrünnigen“ zum Brabant zurückfanden. 1931 ging es dem Verein sichtlich schlechter. „Als ich vor einem Jahr hier stand und meinen Jahresbericht zu Ende vorgetragen hatte, war mein Schlusswort der Wunsch, dass bald bessere Zeiten in unserem Vaterlande einziehen würden, damit wieder mancher seinen Radsport betreiben könne, dem es heute die Lage nicht gestattet. Leider hat sich dieser Wunsch nicht erfüllt, nein, die ganzen Verhältnisse sind noch viel schlechter als damals geworden.“ Mit diesem trüben Ausblick eröffnete der Vorsitzende den Jahresüberblick im 31. Vereinsjahr des Brabant. So waren keine großen Festlichkeiten und Veranstaltungen abgehalten worden, und der Verein begann, bedingt durch den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, erneut das Vereinsleben einzufrieren. Diese Resignation im Volke zeigte ihre Wirkung auch auf den Brabant. 1932 wurde von den Mitgliedern gar als das Schicksalsjahr bezeichnet, wobei die verwirrenden politischen Ereignisse und die daraus entstehende „tiefe Kluft zur Demokratie“ zur Aufgabe jeder Hoffnung beitrugen. „Zukunft kannten wir nicht mehr, jede Wahl riss die politische Kluft tiefer und tiefer und viele verloren den Glauben daran, dass uns wieder einmal reguläre Zeiten beschieden seien.“ Könnte sich die Unzufriedenheit in den letzten Jahren der Weimarer Republik besser ausdrücken lassen, als es uns die Worte des ehemaligen Vorsitzenden des Brabant deutlich machten. Mit dem Niedergang der Republik war auch der Niedergang des Vereins auf das engste verbunden. Nun aber, im Jahr 1933, sahen die Mitglieder die Wende in Deutschland und damit im Radsport gekommen. Die nationale Polarisierung und die Machtergreifung Hitlers ließ die Radfahrervereine wieder hoffen, was sich in den Worten des Vorsitzenden des Brabant äußerte: „Wie all das Alte, Morsche verschwand, so verschwanden auch in unserem Sport die Bünde und Bündchen… Der vom Führer mit der Neuordnung des deutschen Sportes betraute Reichs-Sportführer griff eisern durch und fegte alles Alte hinweg.“ Gab es wirklich Hoffnung? Wie wir heute wissen, sicherlich nicht, der Schein trog. Den Mitgliedern wurden bald die Augen geöffnet, als ihr Vereinsleben zum zweiten Male jäh unterbrochen wurde Im Rahmen der Gleichschaltung hörten sie als selbständiger Verein auf zu existieren und wurden der Reichssportkammer unterstellt. Der 2. Weltkrieg tat sein übriges, um ein Vereinsleben nicht mehr aufrecht erhalten zu können. Erst ab dem Jahre 1951 konnte der Brabant wiederentstehen, um sich dem Radsport mit all seinen Disziplinen erneut widmen zu können [15].
Immer Ärger mit den Radfahrern
„[…] Denn gerade der Radsport bereitet seinen Anhängern besonders schöne, genussreiche Stunden, weil er es ihnen ermöglicht, unabhängig von Fahrplänen und Schienenwegen alle schönen Erdenwinkel der engeren und weiteren Heimat ohne größeren Zeitverlust und ohne erhebliche Kraftanstrengung zu durchstreifen. Dass ein in vernünftigen Grenzen betriebener Radsport außerdem ein unschätzbares Kräftigungsmittel für die Lungen wie für den ganzen sonstigen Organismus darstellt, ist sein weiterer Vorzug, der diesem Sporte deshalb auch alljährlich neue, begeisterte Anhänger zuführt.“
Aber nicht nur solch Positives, sondern auch viel Negatives war mit der Erfindung des Fahrrades und des Radfahrens entstanden. Die Fußgänger oder die Fuhrwerksbesitzer, die sich gegen die Einführung der neuen Gefährte wehren wollten, lieferten sich häufig harte Wortgefechte und Schimpfereien mit den Radfahrern. Da der Fahrradverkehr ständig zunahm, wurden seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Polizei unzählige Verordnungen erlassen, womit man gegen die Radfahrer zu Felde ziehen konnte. Oft lauerten die Polizisten hinter Bäumen oder in Straßengräben den Radfahrern auf, um sie wegen der Übertretung eines Verbotes bestrafen zu können. 1900 gab Professor Schumacher ein Buch mit dem Titel „Das Recht des Radfahrers“ heraus, worin er den Rat gab: „Es ist namentlich zu empfehlen, beim Einfahren in die Städte die auf Posten stehenden Polizeibeamten zu befragen, ob bestimmte Straßen für den Radfahrer verboten sind oder ob irgendeine andere den Radfahrer berührende polizeiliche Vorschrift in Geltung steht.“ Ein öffentliches Ärgernis der Zeit waren vor allen Dingen radfahrende Frauen. Dies bewies eindeutig eine Annonce in der „Münchner Zeitung“ im Jahr 1900: „Dem die Maximilianstrasse entlang prominierenden Publico bot sich gestern, Sonntagvormittag 12 Uhr, ein ebensoviel Entrüstung als Ärgernis erregendes Bild dar. Auf einem doppelsitzigen Velociped bewegte sich ein Päarchen in rascher Fahrt durch die Strasse. Das Päarchen bestand aus einem Mannsbilde und – seiner Donna, letztere in einem geblümten seidenen Rocke, durch den die stampfenden, das Vehikel in Bewegung setzenden Beine sich jedem, so darauf erpicht war, sie zu sehen, leicht präsentierten. Ohne Scham, stolz wie eine Amazone, ließ die holde Dame sich männiglich mustern, ihre Fahrt ungeniert fortsetzend…“. [16]
Wie gestaltete sich nun die Situation im heimatlichen Alsfeld? Am 18. Mai 1904 reagierten die beiden Radfahrervereine in Alsfeld mit einem Artikel, „bezugnehmend auf den Unfug, welchen Radfahrer in der Altenburger Chaussee veranstalteten“. In ihrem Interesse wiesen Brabant und A.R.V. 1890 darauf hin, dass es den Mitgliedern der Vereine ausdrücklich verboten wäre, sich gegen die polizeilichen Ordnungen hinwegzusetzen. Enthalten wäre dabei auch das „maßvolle Fahren innerhalb der Ortschaft und den belebten Chausseen“. Der Artikel setzte fort: „Wenn dies von seiten der wilden Fahrer geschieht, so leiden naturgemäß die Interessen unserer den Radsport huldigenden Vereine in bezug auf die Sympathien des Publikums.“ Man wäre ja leicht geneigt, solche Rohheiten auf die Mitglieder der Vereine zu schieben. Schon im Jahre 1903 veröffentlichte der Brabant einen Artikel, der die gegenseitige Rücksicht auf den Straßen und Wegen fördern sollte. Das Klingeln der Radfahrer wird von einem Teil des Fußgängerpublikums immer noch falsch aufgefasst, und Zusammenstöße sind diesem Umstande zuzuschreiben. Das Glockenzeichen des Radfahrers soll dazu dienen, dem Fußgänger zu melden: „Vorn oder hinten kommt ein Rad, möglichst auf der rechten Seite des Weges geradeausgehen!“ Viele Fußgänger laufen trotzdem auf der falschen Seite und dem Fahrer genau vor das Rad. Wie viel Ärger, Schimpfereien und Unglücksfälle sind dadurch schon entstanden. Es ist für Fußgänger und Radfahrer ein Vorteil, wenn Niemand beim Ertönen der Glocke nervös wird, sondern jeder ruhig, ohne sich umzusehen auf der rechten Seite des Weges geradeaus weiter geht. [17] Jedes Mitglied des Radfahrerbundes war seit 1903 „gegen Haftpflicht in solchen Fällen versichert, welchem das Mitglied in seiner Eigenschaft als Radfahrer ausgesetzt ist“. Die Mitglieder waren bis in die Höhe von 50.000 Reichsmark gegenüber einzelnen Personen versichert. Mit dem ersten Juli 1907 trat eine neue Fahrradordnung in Kraft, die sich auf ganz Hessen erstreckte. So durfte innerhalb geschlossener Ortschaften nur in mäßiger Geschwindigkeit gefahren werden. Auf unübersichtlichen Wegen, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit oder bei starkem Nebel, beim Einbiegen aus einer Straße in die andere, bei Straßenkreuzungen, scharfen Straßenkrümmungen, besonders wo lebhafter Verkehr stattfand, musste so langsam und vorsichtig gefahren werden, dass das Fahrrad auf der Straße zum Halten gebracht werden konnte. Verboten war es, beide Hände gleichzeitig von der Lenkstange zu nehmen oder die Füße von den Pedalen zu entfernen. Das Rad musste zudem eine helltönende Glocke tragen, wobei belästigendes oder zweckloses Klingeln zu unterlassen war. Der Gebrauch von Signalpfeifen, Hupen oder beständig tönendes Läuten, waren verboten. Das Abgeben von Glockenzeichen war sofort einzustellen, wenn Tiere unruhig oder scheu wurden. Merkte der Fahrer, dass Tiere vor dem Rad scheuten, Menschen oder Tiere in Gefahr gerieten, hatte er langsam zu fahren oder abzusteigen. Das Umkreisen von Menschen, Tieren und Fuhrwerken oder ähnliche Bewegungen, die Menschen oder Eigentum gefährdeten, waren untersagt. Aber nicht nur der Radfahrer war ein öffentliches Ärgernis oder schädigte andere Verkehrsteilnehmer, nein, er wurde oft selbst zum Opfer im zunehmenden Straßenverkehr. So hat wohl auch das alte deutsche Sprichwort, wer sachte fährt, kommt immer an sein Ziel, nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Anmerkungen
[01] Oberhessische Zeitung, Kreisblatt des Kreises Alsfeld, vom 27. November 1900.
[02] Anzeiger für Stadt und Land vom 1. Dezember 1900.
[03] Die verwendete Mitgliederliste des Brabant verzeichnet die aufgenommenen und ausgetretenen Mitglieder vom 28.11.1900 bis zum 31. 12. 1956.
[04] Anzeiger für Stadt und Land vom 25. Juli 1911, s. Artikel 10-jähriges Stiftungsfest des Brabant.
[05] Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen 2 1980, S. 179 ff.
[06] Statuten des Radfahrer-Clubs „Brabant“, Alsfeld, vom 1. März 1912 und vom 1. Juli 1926. Ferner die Protokolle des Vereins von 1912 bis 1926.
[07] Grundlegend Felix R. Paturi, Die Geschichte des Fahrrades, Stuttgart 1988.
[08] ders., Die Geschichte des Fahrrades, S. 56.
[09] Oberhessische Zeitung vom 7. Dezember 1900, Rubrik Lokales.
[10] Annonce im Anzeigenteil des Alsfelder Anzeigers vom 12. Januar 1901.
[11] Anzeigen im Alsfelder Anzeiger für Stadt und Land.
[12] Artikel des Deutschen Radfahrerbundes in beiden Heimatzeitungen.
[13]Für die Hinweise über die Gestaltung und Ausführung der einzelnen Disziplinen des Fahrradvereines danke ich Herrn Klaholz für die freundliche Unterstützung.
[14] Als Quellengrundlage dienten hauptsächlich die Veröffentlichungen des Vereines in der Oberhessischen Zeitung und dem Anzeiger für Stadt und Land Alsfeld im Zeitraum von 1900 bis 1914.
[15] Von 1912 bis 1935 wurden im wesentlichen die vorhandenen Protokolle des Vereins herangezogen.
[16] Felix R. Paturi, Die Geschichte des Fahrrades, Stuttgart 1980, S. 69-72.
[17] Die Artikel erschienen in den Ausgaben des Anzeigers für Stadt und Land.
Erstveröffentlichung:
Michael Rudolf, Radfahrer-Club „Brabant 1900 Alsfeld“, in: Heimat-Chronik Alsfeld, 10. Jahrgang, 1993, Heft 1, S. 1-4 und Heimat-Chronik Alsfeld, 10. Jahrgang, 1993, Heft 2, S. 1-4.
Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von ihm genehmigt. Vielen Dank!
[Stand: 22.05.2024]