Die Gründung des Armen-Vereins der Stadt Alsfeld

Dr. Herbert Jäkel, Alsfeld (1992)

Ein 17 cm langes und 7,5 cm breites Täfelchen aus Blech, das sich in den Sammlungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld befindet und in der Ausstellungsvitrine zur Stadtgeschichte des 19. Jahrhunderts zu sehen ist, weckte das Interesse zu Nachforschungen über seine Bedeutung und Zusammenhänge und warf die Frage auf, welchem Zweck es einmal gedient haben mag.

Das „Täfelchen aus Blech“

Die einst weiße Grundfarbe des abgerundeten Blechschildes ist verschmutzt, stellenweise abgeblättert; auch bei den einzelnen, mit schwarzer Farbe aufgetragenen Buchstaben sind etliche Fehlstellen vorhanden. Auf der Rückseite ist die No. 4 aufgeschrieben, auf der Vorderseite steht „Armen-Verein“ und schwach erkennbar in Blei der Name „Dielman Welker“ und die Jahreszahl „1852“. Löcher deuten an, dass das Täfelchen einmal irgendwo angenagelt worden war.

Nachforschungen über die Exponate des Museums gehören zu den täglichen Aufgaben der Museumsleute. Sie erbrachten an diesem Beispiel folgende Erkenntnisse, die hiermit dargestellt werden sollen.

Verein zur Abstellung der Bettelei soll gegründet werden

Mitte des vorigen Jahrhunderts muss die Bettelei so überhandgenommen haben, dass der Alsfelder Stadtvorstand beschlossen hatte, wie in anderen Städten einen Verein zur Abstellung des Bettelns zu gründen. Wie Bürgermeister Ramspeck am 6. Mai 1851 [06.05.1851] öffentlich zur Kenntnis brachte, wollte man durch den Verein erreichen, dass seine Mitglieder persönlich nichts mehr den Bettlern „verabreichen, sondern mit den Beiträgen eine Kasse bilden, woraus die Hilfsbedürftigen unterstützt werden sollten. Mit Hilfe von Subskriptionslisten wollte der Stadtvorstand erst einmal feststellen, ob ein solcher Verein zustande gebracht werden könne [01].

In der folgenden Zeitungsausgabe brachte „Der Wächter an der Schwalm“ den Wortlaut der Satzung des Armenvereins der Stadt Grünberg. Das „Allgemeine Intelligenzblatt“ betonte zwar, „dass eine umsichtige Behandlung des Armenvereins, eine lebendige, werkthätige Theilnahme an dem Geschicke unserer ärmeren Mitbürger, ebenso wünschenswerth, als nothwendig erscheint“, fand sich aber dennoch veranlasst, „unsere Bedenken über die Zweckmäßigkeit der zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks […] getroffene Einleitung unseren Mitbürgern zur entsprechenden Prüfung und Würdigung mitzutheilen“. Es müsste der Aufforderung zur Unterzeichnung von Beiträgen erst eine Besprechung derer stattfinden, die sich beteiligen wollen. Es gehe nicht nur um das Abstellen des Bettelns als vielmehr um das Bestreben, „dass dem Armen die Beihülfe, Geld oder Verhelfung zu Arbeit und Verdienst. zu Theil wird, und dass wir dadurch, dass wir unsere Menschen- und Christenpflichten in vollem Maße gegen ihn erfüllen, möglichst seine sittliche Veredlung bewirken, bewirken, dass er der bürgerlichen Gesellschaft als ein nützliches würdiges Mitglied erhalten wird […].“ „Mehrere hiesige Bürger“ meinten, daβ vieles von dessen Grundstimmungen, dessen Statuten, dessen Organisation abhänge“. Deshalb hielten sie eine eingehende Besprechung vor dem Einsammeln der Subskriptionen für notwendig [02].

Recht ausführlich trug „Der Wächter an der Schwalm“ in zwei Fortsetzungen Entstehung, Entwicklung und Gedanken zu dem Armenverein unter Darstellung der Verhältnisse in Grünberg vor [03].

Einladung zur Bürgerversammlung

Am 14. Juli 1851 [14.07.1851] teilte Bürgermeister Ramspeck mit, dass der Gemeinderat, „zur Abschaffung der Bettelei einen Armen-Unterstützungs-Verein“ gründen wolle und lud „alle hiesigen Bewohner, welche sich der Theilnahme unterziehen wollen“, auf Sonntag, den 27. Juli, nachmittags 3 Uhr. in den Bürgersaal im Weinhaus ein [04].

Die Anwesenden hatten einen provisorischen Ausschuss gewählt, der einen Entwurf der Statuten erarbeiten sollte. Zu dem Ausschuss gehörten Bürgermeister Ramspeck, Martin Bücking, J. C. Th. Bücking, Georg Gerland, Chr. Bellinger, Chr. Carl. Berck, Werner Ramspeck jun. und Ernst Fries.

Dieser Ausschuss teilte am 15. Oktober 1851 [15.10.1851] in einem Aufruf an die Bewohner Alsfelds mit, dass in der folgenden Woche die Subskriptionslisten in der

Obergasse von J. C. Th. Bücking und Chr. Bellinger,
Mainzer Gasse von Georg Gerland und Mart. Bücking,
Fulder Gasse von Ernst Fries und Werner Ramspeck jun.,
Hersfelder Gasse von W. E. Hyppolite und Chr. Carl Berck

in den Wohnungen zur Unterzeichnung vorgelegt werden [05]. Außerdem legte der Ausschuss den Entwurf für die Satzung des Armenvereins zu Alsfeld vor.

Satzung des Armenvereins zu Alsfeld

„§ 1. Der Zweck des Vereins ist die Abschaffung des verderblichen Bettelns durch eine aus freiwilligen Beiträgen zu bildende Unterstützungskasse für hülfbedürftige Arme zu erzielen.

§ 2. Mitglied des Vereins ist ein jeder hiesige Einwohner, der sich zur Entrichtung eines monatlichen Beitrages für mindestens die Dauer des laufenden Jahres verbindlich macht und gegenwärtige Satzungen anerkennt.

§ 3. Der Verein nimmt auch von Mitgliedern und Nichtmitgliedern außerordentliche Gaben jeder Art an, insbesondere Lebensmittel und Kleidungsstücke.

§ 4. Jedes Mitglied des Vereins übernimmt. die Verpflichtung nicht allein durch Beiträge für die Sache des Vereins thätig zu sein, sondern auch außerdem nach besten Kräften denselben zu unterstützen.

§ 5. Ein jedes Mitglied macht sich verbindlich, an Bettler durchaus keine Gaben zu reichen.

§ 6. Ein jedes Mitglied ist verbunden, die Arbeiten und Geschäfte, die ihm vom Vereine übertragen werden, gewissenhaft, pünktlich und zwar unendgeldlich zu erfüllen.

§ 7. Ein jedes Mitglied ist verbunden, seine Wünsche oder Beschwerden in Bezug auf Vereinsangelegenheiten zur Kenntnis des Ausschusses zu bringen.

§ 8. Ein jedes Mitglied ist berechtigt, an den Hauptversammlungen Antheil zu nehmen, Anträge zu stellen, sich jede ihm wünschenswerthe Erläuterung zu erbitten und bei allen der Versammlung vorgelegten Fragen mitzustimmen.

§ 9. Wer auszutreten wünscht, hat dies schriftlich den mit der Leitung der Geschäfte beauftragten Mitgliedern längstens in der ersten Hälfte des Monats December anzuzeigen. Wer diese Anzeige später macht, hat seine Beiträge noch für das ganze nächstfolgende Jahr zu entrichten.

§ 10. Jedes Jahr im Monat Januar findet eine Hauptversammlung der Vereinsmitglieder statt. Außerordentliche Versammlungen können berufen werden, so oft dies der Ausschuss für nöthig hält.

§ 11. Die Hauptversammlung hat folgende Geschäfte zu erledigen:
1) Sie nimmt die ihr vorgelegten Rechenschaftsberichte des Ausschusses entgegen.
2) Sie vollzieht die nothwendig werdenden Wahlen.
3) Sie beschließt über Anträge auf Erläuterung, Ergänzung oder Abänderung der Satzungen des Vereins.

§ 12. Die Hauptversammlung ist beschlussfähig, wenn Ort und Zeit derselben 3 Tage vorher in ortsüblicher Weise bekannt gemacht worden sind.

§ 13. Im Namen des Vereins besorgt der Vorstand die Handhabung der Satzungen, sowie alle nothwendig werdenden sonstigen Geschäfte.

§ 14. Der Vorstand soll bestehen:
1) als ständige Mitglieder: aus dem Großherzogl. Bürgermeister und Großherzogl. Physikatsarzt,
2) als unständige Mitglieder: welche vom Verein direkt zu wählen sind aus fünfzehn Personen.

§ 15. Der Gesammtvorstand wählt unter sich und aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, desselben zwei Schriftführer und einen Rechner. Im Übrigen vertheilt derselbe die verschiedenen durch die Umstände gebotenen Geschäfte unter seine einzelnen Mitglieder.

§ 16. Der Vorstand lässt die monatlichen Beiträge durch besondere Sammler bei den einzelnen Mitgliedern abholen; diesen Sammler bewilligt der Vorstand eine angemessene Vergütung.

§ 17. In der Regel wird der Vorstand für bedürftige Personen hiesiger Stadt keine Unterstützungen in baarem Geld verwilligen. Ausnahmen sind ihm nur dann gestattet, wenn dringende Umstände z.B. Krankheit eine besondere Geldunterstützung nothwendig machen.

§ 18. Der Vorstand hat die Bedürftigen zu unterstützen durch Lebensmittel, Kleidungsstücke, Brennholz oder auch durch Lieferung von Rohstoffen zum Verarbeiten.

§ 19. Personen, welche ohngeachtet der vom Vereine oder aus der hier bereits bestehenden öffentlichen Armenkasse erhaltenen Unterstützungen, selbst betteln oder ihren Kindern das Betteln gestatten, kann der Vorstand für kürzere oder längere Zeit die Unterstützungen einhalten oder gänzlich entziehen.

§ 20. Der Vorstand wird sich in fortwährender Verbindung erhalten mit dem Stadtvorstand.

§ 21. Der Vorstand hat sich mit den betreffenden Ortsbehörden der Nachbarschaft in Benehmen zu setzen, damit auch diese geeignete Maßregeln zur Abstellung des Bettelns ergreifen. Je wie weit Bedürftige, namentlich alte arbeitsunfähige Personen der Nachbarorte, von dem Vereine unterstützt werden können, wird sich erst nach den Mitteln, welche dem Vereine zu Gebote gestellt werden, bestimmen lassen.

§ 22. Durchreisende Handwerksgesellen werden von dem Vereine nicht unterstützt, da diese bereits aus der hiesigen Stadtkasse Unterstützung erhalten.

§ 23. Der Vorstand ist beschlussfähig, sobald zehn und mehr seiner Mitglieder zu einer Sitzung sich eingefunden haben.

§ 24. Der Verein stellt einem jeden Mitgliede gegen die einmalige Vergütung von 3 kr. eine blecherne Tafel zu, mit der Aufschrift „Armen-Verein“ Diese Tafel ist an eine in die Augen fallende Stelle des Hauses anzuheften.

§ 25. Austretende Mitglieder haben diese Tafel an den Verein zurückzugeben, können aber keinen Anspruch auf Rückvergütung des dafür bezahlten Betrags machen.

§ 26. Wenn der Verein sich auflöst, so soll der Verein in einer zu berufenden Generalversammlung über das zur Zeit vorhandene Vermögen verfügen“ [06].

Generalversammlung

Der provisorische Ausschuss hatte sodann zu einer Generalversammlung am Donnerstag, dem 20. November 1851 [20.11.1851], nachmittags 14 Uhr, in den Bürgersaal eingeladen. Die Statuten sollten beraten und beschlossen und der Vorstand definitiv gewählt werden. Da aber nur ca. 30 Mitglieder erschienen waren, wurde eine nochmalige Generalversammlung auf Sonntag, den 23. November [23.11.1851], 15 Uhr, einberufen [08].

Die Generalversammlung hatte ohne Abänderung die Satzung angenommen und die Regierungskommission hatte bereits zugestimmt, so dass der Verein sich damit konstituieren konnte. Unter nochmaliger Aufforderung zum Beitritt wurden auch die Mitglieder des Vorstandes vorgestellt. Es waren:

Ramspeck, Bürgermeister
Dr. Stammler, Physikatsarzt
Martin Bücking
Christian Bellinger
W.E. Hyppolite
Werner Ramspeck jun.
Bernhard Hölscher
Jacob Kober
Georg Dietrich Wenzel
Carl Berck
Ludwig Sondermann
J. C. Th. Bücking
Wolf Spier
Georg Gerland
Heinrich Hölscher, Beigeordneter
Ernst Fries
Christian Hoos [09].

Anmerkungen:

[01] Allgemeines Intelligenz Blatt und Der Wächter an der Schwalm vom 10. Mai 1851
[02] Allgemeines Intelligenz Blatt vom 14. Mai 1851
[03] Der Wächter an der Schwalm vom 21. und 24. Mai 1851
[04] Allgemeines Intelligenz Blatt vom 19. Juli 1851
[05] ebd. und Wächter an der Schwalm vom 18. Oktober 1851
[06] Der Wächter an der Schwalm vom 18. Oktober 1851
[07] Allgemeines Intelligenz Blatt und Wächter an der Schwalm vom 15. November 1851
[08] Allgemeines Intelligenz Blatt vom 22. November 1851
[09] ebd. und Wächter an der Schwalm vom 20. Dezember 1851

Erstveröffentlichung:

Dr. Herbert Jäkel, Die Gründung des Armen-Vereins der Stadt Alsfeld (1852), in: Heimat-Chronik Alsfeld, 9. Jahrgang, 1992, Heft 5, S. 3-4.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
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[Stand: 17.02.2024]