Von Dr. Herbert Jäkel, Alsfeld (1980)
1980 im neuen Kleid
Gegenüber dem Rathaus, an der Südwestecke des Marktplatzes und zwischen den Einmündungen von Mainzer Gasse und Rittergasse erstreckt sich ein dreigeschossiges, traufseitig stehendes Gebäude, das aus zwei Fachwerkgeschossen auf einem massivem Untergeschoß besteht. Das Haus Markt 6 wird wegen seines Erbauers Stumpf-Haus bzw. wegen seines Besitzers auch Kimmsches Haus genannt. Dieses imposante Fachwerkhaus hat im Juni 1980 einen neuen Anstrich erhalten, nachdem schon vorher die Außenreklame reduziert werden konnte, wodurch der Gesamteindruck, vor allem seine architektonische und städtebauliche Wirkung wesentlich verbessert wurde.
Das Fachwerkgebäude, das vor 100 Jahren noch total verputzt war, steht seit dem Denkmalschutzgesetz aus dem Jahre 1902 unter Denkmalschutz. In den Annalen der Denkmalpflege wird es immer wieder genannt, meist mit beklagenswerten Worten. Im Berichtsjahr 1903/1904 schrieb z. B. Heinrich Walbe, dass „das schöne, mit reichen Schnitzereien an den Balkenlagen und Eckpfosten gezierte Fachwerk durch frühere Vergrößerungen der Fenster leider zu seinen Ungunsten verändert worden sei“. Damals erhielt das Haus, nachdem es sicherlich einige Jahre früher freigelegt worden war, einen neuen Farbanstrich. Bauinspektor Berth vom Großherzoglichen Hochbauamt Alsfeld stand dem Besitzer mit Rat und Tat zur Seite. Für das Jahr 1922 vermerkte der Denkmalpfleger resigniert: Das Haus Martin Kimm am Markt erhielt ein weiteres Schaufenster. Gleichzeitig empfahl er, wenn irgend möglich, von der Aufstellung einer Tanksäule auf dem Marktplatz Abstand zu nehmen. Tatsächlich gab es die Tanksäule vor dem Fachwerkhaus bis in die 50er-Jahre. 1927 schrieb Werner Meyer-Barkhausen: „Noch wirkungsvoller könnte dieser eigenartige und seltene Schmuck eines Fachwerkhauses zur Geltung kommen, wenn es möglich wäre, die unschönen Reklameschilder an dem heute zum Ladengeschäft umgebauten Untergeschoss etwas zurücktreten zu lassen.“ Und noch 1975, im Europäischen Denkmalschutzjahr, schrieb Ernst-Otto Hofmann zu diesem Haus unter wünschenswert: „Neugestaltung der gesamten Ladenfront und Vereinfachung der Reklameschriften.“ [Seite-234]
Nun ist das endlich geschehen, und es ist zu hoffen, dass es so bleibt und dass nicht doch noch nach und nach hier ein Reklameschild, dort ein Automat, da ein Fähnchen usw. angebracht werden; denn das Erdgeschoss zeigt immer noch viel Unruhe. Auch für heute gibt es noch eine Forderung, nämlich den Einbau von Sprossenfenstern, die bereits vorgesehen sind und nach und nach eingebaut werden sollen.
Der neue Farbanstrich am Stumpf-Haus durch das Malergeschäft H. Lehmann bedarf sicher einer Erklärung; denn mit dem „Mut zur Farbe“ ist in den letzten Jahren vieles daneben gegangen. Unbekümmert und nach „persönlichem Geschmacksempfinden“ wurden Farben gemischt und auf die Hauswände gepinselt. Allzu oft hatte man das Gefühl, dass „etwas nicht stimmt“. Farbe ist zwar ein vollwertiges Gestaltungsmittel in der Architektur, sie soll die vorhandene architektonische Gliederung eines Gebäudes unterstreichen, sie kann aber niemals Ersatz für eine gestalterische Architektur sein. Falsch angewandt, kann sie sogar die sorgfältig gegliederte alte Fassade optisch zerstören. Ähnlich wie beim Regionalmuseum Alsfeld wurden vorher Farbproben gemacht. Die Restauratorin, Frau Höhfeld aus Marburg, hat diese Untersuchungen am Hause Markt 6 vorgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass die Balken nie anders als rot gestrichen waren. Die Farbe blau konnte nicht gefunden werden. Daraus ergab sich für den Maler W. Weide, der seitens des Magistrates für die Farbangaben zuständig ist, dass nur die Erdfarben Englischrot, Umbragrün und Ocker verwendet worden sind, durch deren Mischung sich alle Farbtöne ermöglichen lassen. Für den Anstrich der verputzten Gefache wurde Kalk leicht mit Umbragrün und Ocker getönt. Bei dem vorhandenen Schnitzwerk an den Eckpfosten und an dem Quergebälk ist die Verwendung von Farbe so gut gelungen, dass das Stumpf-Haus vielleicht richtungsweisend sein kann, ohne dass damit eine „Rezeptsammlung für die Renovierung von Fachwerkhäusern“ gegeben werden kann; denn jedes Haus ist ein Produkt seiner Zeit, entstanden aus dem Willen und Vermögen seines Bauherren und den Fähigkeiten der Baumeister und Handwerker. [Seite-235]
Das Stumpf-Haus als Baudenkmal
Die im Sommer 1980 durchgeführte Fassadenrenovierung des Hauses Markt 6 rückt auch den städtebaulichen Wert und die kunsthistorische Bedeutung des Fachwerkgebäudes in den Vordergrund. Es bildet mit dem Hochzeitshaus den südwestlichen Abschluss des Marktplatzes und steht genau dem Rathaus gegenüber, in breitgelagerter Front. Sein ungewöhnlicher Aufwand an Schnitzereien hebt es noch mehr hervor, obwohl es in der Holzkonstruktion zurückhaltend ist. Wie Werner Meyer-Barkhausen, Dieter Großmann und Ernst-Otto Hofmann in ihren Arbeiten über das Alsfelder Fachwerk darlegen konnten, zeigen die meisten Holzbauten Oberhessens ein strenges und schmuckloses Fachwerk, wie das an den Rähmbauten des 16. Jahrhunderts besonders auffällt. Allerdings werden die Fachwerkbauten unter dem Einfluss der Renaissance auch reicher gestaltet. Rähmbalken, Füllhölzer und Schwellen werden mit Schnitzereien, Eckpfosten mit figürlichen Darstellungen, Rähmbalken oder Türumrahmungen mit Inschriften in vertiefter oder erhabener Form, Brüstungsfelder mit Kreuzstreben und herzförmigen Ausschnitten sowie Fächerrosetten versehen, alles Zeichen einer hochentwickelten Handwerkskunst.
Als eines der ersten Zeugnisse reicher gestalteter Fachwerkbauten gilt das Stumpf-Haus, das 1609 von Jost Stumpf gebaut worden ist, und zwar zunächst mit den linken zwei Dritteln, während das rechte Drittel später in anpassender Form angebaut wurde. Auf einem massiven Sockel erheben sich zwei Fachwerkgeschosse, denen ein traufseitiges Dach mit Gäubchen aufgesetzt ist. Die Giebel stehen zur Mainzer Gasse und Rittergasse. Die Hölzer sind bis auf einige Eckstreben nicht stark. Die einstige Klarheit des Gefüges wurde leider durch Fenstervergrößerungen beeinträchtigt. Trotzdem ist das unter Denkmalschutz stehende Fachwerkhaus ein städtebaulich und kunsthistorisch wertvolles Baudenkmal, dessen Mangel an architektonischer Gliederung durch den einzigartigen Reichtum an Schnitzereien ausgeglichen wird. [Seite-236]
Zu den auffallendsten Merkmalen des Stumpf-Hauses gehören die geschnitzten Eckpfosten. Sie sind ornamental aufgefasste, zum Teil phantasievolle Abwandlungen des Themas „Wilder Mann“ und „Wilde Frau“ und lehnen sich unverkennbar an den Hermen- bzw. Karyatidenschmuck an, der in der Steinarchitektur der Antike vorkommt und durch die Wiederentdeckung der Antike im 16. Jahrhundert eine Renaissance erlebte und sogar in der Zimmermannskunst Verwendung fand. Die Zimmerleute betätigten sich auch als Holzbildhauer. Die Hermen waren ursprünglich vierkantige Pfeiler mit einem Kopf, später auch mit menschlichem Körper, auch mit zwei und mehr Köpfen. Sie wurden in der Kunst des 15. Jahrhunderts nachgeahmt sowie auch im architektonischen Verband verwandt. Als Karyatiden bezeichnete man die Mädchen von Karyai, einem Dorf bei Sparta, die beim Artemisfest mit korbähnlichem Kopfputz tanzten. In der Architektur verwendete man solche Mädchenfiguren statt Säulen, die auf dem Kopf das Kapitell trugen. Die gleiche Aufgabe fiel den Gewandstatuen von Mädchen, den Koren, in der griechischen Plastik zu.
Interessant ist die Anordnung der Figuren. Im 1. Obergeschoss befinden sich drei Eckpfosten mit je einer männlichen Figur. An der Ecke zur Mainzer Gasse hat sich der Bauherr Jost Stumpf in zeitgenössischer Tracht darstellen lassen. Kleidung und Bart sind von der spanischen und niederländischen Mode stark beeinflusst: die weite Pumphose, die unter dem Knie zusammengehalten wird, ein kurzer, bis zum Hals reichender Wams, die Halskrause aus feiner gefalteter und gerüschter Leinwand spöttisch als Mühlsteinkragen bezeichnet, das kurze Haar und der gespitzte Vollbart. Die Figur steht auf einem Löwen, der zwei Körper hat, und hält Handschuhe in den [Seite-237] gekreuzten Händen. Die beiden anderen Männerfiguren stellen ebenfalls einen bärtigen Mann dar (die mittlere Figur sogar mit ähnlichen Gesichtszügen), aber die Unterkörper sind nur als schuppenförmige, durch drei Wülste gegliederte, sich nach unten verjüngende Halbsäulen auf einer Staffelung von Basen und mit einem pharaonenhaften Kopfschmuck ausgebildet.
Im 2. Obergeschoß sind nur weibliche Figuren zu sehen. An den beiden äußeren Eckpfosten wurden beide sichtbare Seiten des Balkens gestaltet, während zwischen dem älteren und jüngeren Bauteil an den Eckpfosten je eine Figur sich gegenüberstehen. Alle weiblichen Figuren sind körperhaft herausgeschnitzt worden und tragen außer einem Lendenschurz nur noch eine Halskette mit Medaillon, Ihre Füße stehen in einem System von Basen, auf dem Kopf ruhen kapitellartige Aufsätze.
Reich ornamentiert ist auch das Quergebälk, jenes breite Holzband zwischen den einzelnen Geschossen. Rähmbalken und Schwelle sowie die zwischen den Balkenköpfen liegenden Füllhölzer sind vielfältig geschnitzt worden. Man erkennt ein perlartig angeordnetes Band, eine tauartig gedrehte Schnur, eine Zopfleiste und ein durch Ringe gegliedertes Band mit Blättern. Gedrehte Schnüre, Eierstäbe, Blattwellen, Zöpfe und Schraubenstäbe sind die typischen Renaissanceornamente. Sie gehen auf das Kymation, eine Schmuckleiste in Blattform in der antiken Kunst, zurück.
Zu den ornamentalen Bestandteilen des Stumpf-Hauses gehören noch einige Brüstungskreuze mit Andeutungen von Maßwerk und herzförmigen Ausschnitten sowie [Seite-238] eine Fächerrosette an der Giebelseite zur Mainzer Gasse. Letztere deutet den Einfluss niedersächsischer Fachwerkkunst an.
Endlich ist noch die Inschrift des Hauses zu nennen. Sie ist die erste erhabene Schrift an einem Fachwerkhaus, und gleich von besonderer Qualität, durch den ausgezeichneten Neuanstrich besonders deutlich geworden. Der Spruch lautet: WO NICHT DAS HAVS BAWET DER HERR SONDERN IST MIT SEIM SEGEN FERN SO ARBEIT VMB SONST IEDERMAN DER SICH DES BAWENS NIMET AHN DER HERR BEHVT STETS IMMER FEIN DEN EINGANG VND DEN AVSGANG DEIN DER HERR BEHVT DICH ALZEIT VON NVN AHN BIS IN EWIGKEIT! JOST STVMPF BAWETS IM JAR CHRISTI 1609.
Das Stumpf-Haus und seine Besitzer
Im Laufe von acht Jahrhunderten hat der Marktplatz als das Herz der Stadt vieles erlebt. Um ihn herum haben Bürger ihre Häuser erbaut, haben Menschen Glück und Leid, Erfolg und Not, Aufstieg und Untergang erlebt – ein ewiger Wechsel in ruhigen wie in turbulenten Zeiten.
Wer bei seinem Rundgang durch Alsfeld so manches Fachwerkhaus betrachtet, mag sich wohl schon oft gefragt haben, wer denn wohl früher einmal in diesen alten Häusern gewohnt haben mag. Karl Dotter ist dieser Frage schon 1935 nachgegangen und hat aus Hunderten von Kaufbriefen, Kaufprotokollen, Häuserkatastern, Erbschaftsakten, Steuerregistern, Ratsprotokollen, Hypothekenbüchern usw. in jahrelanger Arbeit die Bewohner der Häuser am Marktplatz bis zu Luthers Zeiten zurück feststellen können. Wer wohnte nun früher in dem Stumpf-Haus am Marktplatz? [Seite-239]
Wo heute das 1609 von Jost Stumpf erbaute Haus steht, befanden sich vorher drei Gebäude. Als Besitzer und Bewohner erscheinen nach Dotter im linken, an der Mainzer Gasse stehenden Haus: Lorenz Reichard von 1579 bis 1581, Adam Hering von 1582 bis 1587 und Jost Stumpf bis 1609, im mittleren Haus: Peter Steitz von 1560 bis 1582, der Prokurator Johannes Thomas von 1582 bis 1587 und der Bäckermeister Henrich Bücking, der Schwiegervater des Jost Stumpf, von 1589 bis etwa 1609, im rechten Haus: Ludwig Dietz Wwe. und Johannes Dietz von 1547 bis 1579.
An Stelle seines eigenen Hauses und des seines Schwiegervaters errichtete Jost Stumpf den jetzigen Bau, der bis zum Ende der Inschrift reicht. Diesen linken Teil, der etwa zwei Drittel des heutigen Gesamtgebäudes umfasst (man kann leicht die Trennungslinie erkennen), besaß der Bäckermeister Jost Stumpf von 1609 bis 1629. Er wurde 1574 geboren, war mit Susanne Bücking verheiratet, hatte dreimal das Bürgermeisteramt inne, ist 1629 gestorben und auf einem prächtigen Epitaph in der Walpurgiskirche verewigt.
Von 1629 bis 1661 erscheinen seine Erben als Besitzer des Hauses, vor allem Lorenz Stumpf, der mit Katharina Scheibler verheiratet war. Dann wird Henrich Planz der Ältere als Bewohner genannt, der 1598 geboren wurde, in erster Ehe mit Elisabeth Steutz, in zweiter Ehe mit Engel Opel verheiratet war und am 31. Dezember 1659 gestorben ist.
1661 hatte der Bäckermeister Konrad Hartmann, geboren 1610, gestorben am 11. März 1685, das Haus erworben, das von 1663 bis 1682 im Besitz seines Sohnes, des Bäckermeisters, Krämers und Stadtfähnrichs Emrich Hartmann, geboren am 7. Mai 1638, gestorben am 28. Mai 1682, war. Seine erste Ehefrau war eine geborene Knöttel, die zweite eine geborene Vietor, die das Anwesen noch bis 1685 besaß.
Im rechten Haus, das etwa ein Drittel des Gesamtbaus umfasst, finden wir als Besitzer 1617 den Bäckermeister Philipp Planz und 1626 Jost Stumpf. Bewohnt war es 1651 bis 1654 von Hans Arzt, geboren 1601, gestorben am 11. Januar 1689, verheiratet mit Katharina Spengler. 1658 kommt als Bewohner der Rittmeister Benning vor. während [Seite-240] der eigentliche Besitzer von 1654 bis 1684 wohl Johann Henrich Wick, gestorben am 31. Oktober 1684, war. Durch seine Ehefrau Elisabeth Hartmann war er der Schwager seines Nachbarn Hartmann. Sie hatte später Dietrich Urstadt geheiratet. Karl Dotter hatte herausgefunden, dass 1665 für diesen Hausteil eine gründliche Renovierung durchgeführt werden musste, weil er sich in einem schlechten Zustand befand. Damals scheint das rechte Drittel seine heutige Gestalt erhalten zu haben. Das geschah also nur wenige Jahre nach den schrecklichen Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges. Mit dem hinten anliegenden Nachbarn Johannes Scharch und dessen Witwe gab es wegen der Abwässer einen bösartigen Streit, der von 1654 bis 1669 dauerte.
Ab 1685 werden die Besitzer immer für das gesamte Haus aufgeführt. Die schon genannte Witwe des Emrich Hartmann, eine geborene Vietor, hatte nach dem Tode ihres Ehemanns den Johannes Hilsipp geehelicht. Hilsipp, der 1684 Bürger geworden war, hatte als Steuererheber mehr als 1.800 fl. Kontributionsgelder unterschlagen. Er musste eine lange Untersuchungshaft im Leonhardsturm ertragen. Der Rat hatte nach langen Verhandlungen seine Güter versteigert.
1694 übernahm der Sohn des Emrich Hartmann, Johann Konrad Hartmann, geboren 1672, gestorben am 17. Dezember 1735, das Anwesen. Er war mit Elisabeth Katharina Kick, geboren 1676, verstorben am 17. Juli 1747, verheiratet. 1722 hat auch ein Johannes Urstadt im Hause gewohnt. Von 1735 bis 1744 besaß das Haus Johann Werner Kick. Er war mit Susanne Elisabeth Urstadt, geboren 1686, gestorben am 11. Oktober 1753, vermählt. Am 16. Februar 1748 verkaufte sie ihre auf dem Markt stehende Behausung für 1.900 fl. an ihren Sohn Johann Konrad Jakob Kick, geboren 1715, gestorben am 1. Juni 1776. Er war Krämer und Stadthauptmann, seit 1741 mit Maria Magdalena Semmler aus Grünberg, geboren am 16. September 1723, gestorben am 14. Februar 1789, verheiratet und besaß das Haus von 1748 bis 1776. Ihm folgte der Bäckermeister Johann Jakob Hartmann, geboren 1708, gestorben am 12. November 1794. Er war der Sohn von Johann Konrad Hartmann und dessen Ehefrau Elisabeth Katharina Kick und mit Elisabeth Katharina Koch verheiratet.
1794 hatten Jakob Hartmanns Erben das Haus für 2.400 fl. an Georg Dietrich Bücking verkauft. Damit ging das große Anwesen am Marktplatz an die angesehene Familie Bücking über, die es über ein Jahrhundert besessen hat. Georg Dietrich Bücking, geboren am 22. Juli 1739, gestorben am 13. Oktober 1818, war mit Anna Katharina Römheld verheiratet. Nach seinem Tod war der Besitzer sein Sohn, der Kaufmann und Landwehrhauptmann Johannes Bücking, geboren am 21. Januar 1773, gestorben am 22. August 1839, verheiratet mit Marie Justine Bersch (geboren 1785, gestorben 1821). Nachfolger wurde von 1839 bis 1889 dessen Sohn Caspar Gustav Bücking (geboren 26.Januar 1821, gestorben 9. Januar 1889), der mit Luise Helene Kobelt verheiratet war. Diese war nach dem Tode ihres Mannes Besitzerin bis 1900.
Im Jahre 1900 hatte der Kaufmann Wilhelm Koos und 1920 der Kaufmann Martin Kimm das Haus erworben, dessen gleichnamiger Sohn der heutige Inhaber ist und der das Stumpf-Haus jetzt renovieren ließ.
In seinen 371 Jahren des Bestehens hat das prächtige Fachwerkhaus den Wechsel vieler Generationen erlebt, aber auch den Wechsel im Geschick der Stadt Alsfeld. Es könnte viel erzählen, wenn es reden könnte. Der Archivar und Historiker muss dagegen mühsam versuchen, die stummen Akten zum Sprechen zu bringen. [Seite-241]
Jost Stumpf – der Bauherr
Nach der Inschrift am Hause Markt 6 hat Jost Stumpf das Fachwerkhaus im Jahre 1609 erbaut. Wer war dieser Mann, der sich ein solches Gebäude mit dem reichen Schmuck an Schnitzwerk und Farben am besten Platz der Stadt leisten konnte? Einer solchen Frage nachzugehen, ist nicht leicht, aber besonders reizvoll, vor allem, wenn sich Belege ergeben, die man auswerten kann. Und es gibt tatsächlich eine Reihe solcher Dokumente, um sich ein Bild von Jost Stumpf machen zu können.
In der Walpurgiskirche ist sein Grabdenkmal erhalten, ein Epitaph, das ihm und seiner Frau im Jahre 1632 von seinen Kindern gesetzt wurde. Die Jahreszahl findet man auf dem Grabstein. Das Epitaph ist in vier Zonen gegliedert. Der wichtigste Teil zeigt das Ehepaar in zeitgenössischer Kleidung mit Halskrause und betenden Händen, links Jost Stumpf. rechts Susanne, geborene Bücking, sich gegenüberstehend. Darüber befindet sich die Wappenbekrönung. Das Wappen der Familie Stumpf enthält eine goldene Brezel auf blauem Schild und einen Helm mit Krone. Das Wappen der Familie Bücking zeigt im roten Schild zwei schräggekreuzte silberne Fische (Bücklinge?) und auf dem Helm einen rotbekleideten Jüngling, der in den ausgestreckten Händen je einen silbernen Fisch hält. Unter der porträthaft guten Darstellung des verstorbenen Ehepaars sieht man eine Tafel mit lateinischer Inschrift, aus der Geburts- und Sterbejahr hervorgehen und auf dem Stumpf als Senator bezeichnet und mit „optime de patria meritus“ gelobt wird. [Seite-243]
Jost Stumpf wurde nach der Inschrift 1574 geboren. Er starb 1629. Susanne Bücking wurde ebenfalls 1574 geboren und ist ebenfalls 1629 gestorben. Nach der Bürgerliste wurde Jost Stumpf am 22. Oktober 1594 als Bürger in Alsfeld aufgenommen. Im Protokollbuch heißt es: „Nachfolgende burgersohne, so sich alhie in die stadt vorehelicht und den burgereid geleistet.“ Demnach hat Jost Stumpf, dessen Vater der 1578 als Bürgermeister in Alsfeld genannte Heinz Stumpf gewesen sein kann, auch 1594 Susanne Bücking geheiratet.
Jost Stumpf hatte das Bäckerhandwerk erlernt und war Bäckermeister. Er hatte das linke der einst drei Häuser an der Südwestseite des Marktplatzes, also an der Ecke zur Mainzer Gasse, erworben. Sein Schwiegervater, der Bäckermeister Henrich Bücking, besaß das mittlere, also das angrenzende Haus. An Stelle dieser beiden Gebäude errichtete Jost Stumpf 1609 das jetzige, unter Denkmalschutz stehende Haus, und zwar soweit die Inschrift reicht. Später wurde das dritte Haus angepasst.
Jost Stumpf war wohl nicht nur ein tüchtiger Bäckermeister, der durch Leistungen zu Wohlstand gekommen ist. er nahm auch an der Selbstverwaltung der Stadt teil. 1595 war er „Seckelträger“ für den Klingelbeutel in der Kirche. 1599 muss er in den Rat der Stadt aufgenommen worden sein, denn für den „Schepfen Imbiss Jost Stumpf“ mussten „3 fl 9 alb an seinem Ratsbecher herausgegeben“ werden. 1599 wurde er als Ratsmitglied Oberkastenvorsteher, der für die Kirchenrechnungen zuständig war. 1626 hatte er das wichtige Amt des Feuerschillingsmeisters und des Beederhebers, 1629 das des Schätzers inne. Jost Stumpf muss ein solches Ansehen gehabt haben, dass man ihn dreimal zum Bürgermeister wählte, nämlich für 1606/1607, 1614/1615 und 1622/1623. Das geschah in der seit dem Korebrief von 1429 üblichen Weise anlässlich des Gottesdienstes am ersten Sonntag im Januar in der Walpurgiskirche. Jost Stumpf nahm auch dreimal an den Hessischen Landtagen als Abgeordneter der Stadt Alsfeld teil, 1613 zusammen mit dem Bürgermeister Georg Böcking, 1615 zusammen mit dem Stadtschreiber Henricus Schlanhof und am 17. Juli 1615 in Grünberg. Noch 1629 hat er als Ratsherr bei Testamenten gesiegelt.
Als Jost Stumpf 1622 zum dritten Male Oberhaupt der Stadt wurde, war bereits Krieg. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Dreißigjährige Krieg die Stadt Alsfeld verschont gehabt. Doch zum ersten Male war der Feind 1621 vor den Toren der Stadt gewesen, aber der Herzog von Braunschweig, der tolle Christian, musste wieder abziehen. Am Himmelfahrtstag 1622 kam er wieder, diesmal mit 32.000 Mann und viel Geschütz, bereit, die Stadt Alsfeld zu beschießen und zu erstürmen. Gestützt auf die Neutralität Hessen-Darmstadts und unter dem Eindruck der großen Obermacht hat Alsfeld die Tore geöffnet. Zwei Tage, am 30. Mai und am 1. Juni, waren die Braunschweiger in den Mauern. Was sie angerichtet haben, ist in einem 1966 Seiten um fassenden Band auf den Seiten 78 bis 244 niedergeschrieben. Der Schaden belief sich auf 17.998 Reichstaler, nach Soldan auf 76.700 Gulden. Die Stadt musste 6.000 Reichstaler Kontribution entrichten, 49 Musketen und 40 Pfund Blei abliefern. Mobiliar – 34 Tische, 114 Truhen, 26 Schränke – und 777 Fenster wurden zerstört, Zinn- und Kupfergeschirr gestohlen, Münzen abgenommen, Schweine, Gänse und Hühner abgeschlachtet. Nach dem Schadensverzeichnis des Bürgermeisters Stumpf, der den Herzog in seinem Haus aufnehmen musste, lässt sich entnehmen, dass die Offiziere „5 Fuder 1 Ohm virnen reinischen Wein“ im Wert von 225 Reichstaler vertrunken und für 25 Reichstaler Speck und Fleisch verzehrt haben. Die Pferde der Einquartierung fraßen „23 Virtel Haffern“ für 23 Reichstaler. 27 Reichstaler betrug der Schaden an „Leinenduch, Leylacken, Hemter, Kragen und allerhant Leinengezeugk“. Auf der Schadensliste stehen ferner 6 Reichstaler für „ein halb Ohm Essig“, 12 Reichstaler „vor 6 Däppich uft den Betten“ und 13 Reichstaler „vor Zinwerk, Kessel und Kupfern Eimer“. Welche Sorgen hatte damit auch die Ehefrau Susanne mitzutragen gehabt! [Seite-244]
Jost Stumpf stand mit angesehenen Persönlichkeiten in verwandtschaftlichem Verhältnis. Seine Tochter Barbara wurde 1613 von dem damals 62-jährigen Johannes Winkelmann geheiratet. Johannes Winkelmann stammte aus Homberg in Niederhessen und besuchte, angeregt durch seines Vaters Stiefbruder Justus Vietor, der 1553-1557 Rektor und 1557-1575 Pfarrer in Alsfeld war, von 1566 bis 1567 die Alsfelder Lateinschule. Später studierte er in Marburg und promovierte 1581 in Basel zum Doktor der Theologie. 1582 wurde er Hofprediger in Kassel und schließlich ordentlicher Professor in Marburg. Nach Einführung des reformierten Bekenntnisses abgesetzt, wurde er nach Gießen zum Aufbau des Pädagogiums berufen, aus dem 1607 die Universität Gießen hervorging. Hier war Johann Winkelmann, der Schwiegersohn des Jost Stumpf, der erste ordentliche Professor der Theologie bis 1625. Aus seiner Ehe mit Barbara Stumpf aus Alsfeld gingen drei Kinder hervor, Katharina, die den Vizekanzler Ebel zu Gießen heiratete, Georg, der Amtmann zu Kleeberg wurde, und Johann Just Winkelmann, der am 29. August 1620 in Gießen geboren wurde, also ein Enkel des Jost Stumpf war, und der einer der bekanntesten Historiographen wurde.
Quellen:
Jahresbericht der Denkmalpflege im Großherzogtum Hessen, Darmstadt 1910.
Jahresbericht der Denkmalpflege im Volksstaat Hessen 1913-1928, Darmstadt 1930.
Werner Meyer-Barkhausen, Alsfeld, Marburg 1927.
Karl Dotter, Der Alsfelder Marktplatz, Mitt. Alsfeld, VII. Reihe. S. 60 ff.
Dieter Großmann, Alsfeld, München 1976.
Alsfeld, Europäische Modellstadt, Alsfeld 1975.
Rechtliche Anmerkung:
Die vom Geschichts- und Museumsverein Alsfeld e.V. herausgegebene Mitteilung (12. Reihe, Nr. 16, Juli 1980), die den vorliegenden Text enthält, verzichtet auf Copyright-Vermerke oder andere publikationsrechtliche Einschränkungen.
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Erstveröffentlichung:
Dr. Herbert Jäkel, Das Stumpf-Haus am Marktplatz, in: Mitteilungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld, 12. Reihe, Nr. 16, 1980, S. 233-244.
[Stadt: 23.04.2024]