Von Prof. Dr. Eduard Edwin Becker, Alsfeld (1905)
Die Älteren unserer Mitbürger wissen sich noch wohl zu erinnern, dass das Weinhaus am Markt früher der städtische Weinschank gewesen ist, wo zum Nutzen der Stadt Wein und Branntwein ausgeschenkt wurde. Wir wollen im Folgenden der älteren Geschichte dieses Weinschankes nachgehen.
Schon im Mittelalter hatte die Stadt das Privileg des Weinschankes vom Landgrafen erhalten. Wann sie es bekam, ist nicht auszumachen. Jedenfalls hatte sie es schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Denn als Landgraf Ludwig 1414 Verordnungen über die Verfassung der Stadt traf, verordnete er: es sal ouch die vorgenant unser staid by deme ungelde und wintzappen bliben, ire schult zu bezalnde, bisz das wir sie eyn anders heiszen. Denn die Stadt war durch verschiedene Anweisungen des Landgrafen auf ihre Steuern an fremde Herren in mannigfache Geldnöte gekommen.
Als Philipp der Großmütige 1523 die Belehnung erneuerte, bestimmte er den Gewinn „zu der Stadt Bau und Besserung an Mauern, Toren etc.“ Auch der Landgraf selbst hatte seinen Nutzen an dem Weinschank. Denn er bezog von dem verkauften Fuder ein „Ungeld“, das z.B. 1598 3 fl. 2 albus betrug; vom Branntweinschank erhielt er 12 fl. jährlich. Auch musste die Stadt das Privileg alle 9-10 Jahre einlösen. Die Lösungspflicht erließ Landgraf Georg II. der Stadt zur Anerkennung ihrer in dem 30-jährigen Krieg „in der Tat standhaftig bewiesenen Treue“ und zur Wiederherstellung der Mauern und anderer öffentlicher Bauten. Bei den freien Märkten aber erhielt die Herrschaft noch einen besonderen Anteil an jedem verkauften Ohm, ebenso die Stadt, Rentmeister, Schultheiß, Bürgermeister, Baumeister, Marktmeister, Stadtschreiber und Stadtdiener.
Seit alter Zeit fand der Ausschank an der Stelle des jetzigen Weinhauses statt, ausgeübt durch einen von der Stadt bestellten Weinschenken. Die städtischen Weinmeister kauften den Wein von den Fuhrleuten. Nach getroffenem Verkauf hatte der Weinschenk den Fuhrleuten eine „Angift“ zu geben. [Seite-4]
Das enthalten wenigstens die Verträge von 1659 an. Die Weinmeister hatten den Wein in Verschluss und gaben dem Weinwirt nach Bedarf ab. Die Abrechnung geschah mit Kerbhölzern, wie wir deren noch zwei im Museum besitzen. Alle Vierteljahr wurde abgerechnet, die „Oehmung“ gehalten. Da der Wirt doch immerhin eine große finanzielle Verantwortung hatte, musste er starke Bürgschaft stellen. Im Anfang wurden persönliche Bürgen gestellt, später Güter als Unterpfand gesetzt und noch später eine Kaution in Geld gegeben.
War das alte Weinhaus baufällig, oder genügte es den Bedürfnissen der rüstig aufstrebenden Stadt nicht mehr, genug, im Jahre 1538 wurde ein neues Haus nötig. In 3 Verträgen wurden die Arbeiten dem Meister Hans von Frankfurt, der 1542 Bürger zu Homberg in Hessen genannt wird, übertragen. Der erste, wegen der Arbeitsordnung der Maurer besonders interessante Vertrag möge im Wortlaut folgen: Anno 1538, uff sampstag nach dem neuen jars tag (5. Januar) hot ein erber radt sampt den viern us der gemein meister Hansen von Franckfort zum wergkmeister das weinhaus zu machen am tag loen angenomen, also das sie ime zu winter tag loen bitz auf Cathedra Petri (22. Februar) geben wolen vierthalben albus, und von Cathedra Petri an uber somer funf albus; so wil ein erber radt nach benenten kneckten zu winter tag loen geben bitz uf Cathedra Petri dri albus und uber somer vier albus tag loen, und Hansen Meurer so zum balierer vom meister geordent zu seinem tag loen dri heller; und haben die kneckt herunten genent angelopt von der arbeit nit abzustehen bitz so lange sic von einem erbern radt beurlaupt. und solen winterzit den morgen an die arbeit gehen, wen sie umb tage geschen konnen, und ein stund des tages ein moel abgehen, und in somer tagen zu Walpurgis (1. Mai) zu vier uhrn, zu sieben uhrn abe, zu acht uhrn widder an, zu eilf uhrn abe, zu einer uhr widder an, bitz uf Bartholomei (24. August); und solen das vesper brot in der hütten zeren, und den winter zit den abent abgehn, wen sic nit mehr gesehen konen, und in somer tagen zu sieben uhrn abgehen, und ist den kneckten zu XIIII tagen ein badt abend zugelossen.
Hans Meurer. Hans Kaldenschne. Rynchen Henn. Gerge Hen von Walen. Jacob von stat Geissa. Sang Wolf von Geissa. Hen Morer von Hersfeldt.
Bereits am Mittwoch Dorothee (6. Februar) wurde demselben Meister Hans aufgetragen, das fundament am weinhaus umb und umb zu legen, das es den bau erdragen moge bitz uber erden, und den keller wi der ytzund gegraben bis vornen zu machen off sein kosten, also das er im lautern lang sei funfzig einen schuche und in die weide XXVIII schue; und sol das klein kellergen furen bitz uf di drepf, und di drepf in keller mit iren bogen machen wi sichs eigent. Als Lohn wurden ihm 70 fl. zugesichert. Endlich wurde am Sonntag nach Trinitatis (23. Juni) demselben Meister der eigentliche Bau übertragen, das weinhaus von der understen wanderung nun mehr zu mauren mit beiden seynen gibbeln, ornaten und allem geschmuck, wie die visire erstlich angezeigt. Er soll dafür bekommen 150 fl. Landeswährung. Was aber vor steym dar in zu fenstern und sonst zu hauen vonnotten, sol uff der stadt [Seite-5] unkosten und loen gescheen. Dis gedinge hot Hans Meurer mit angenommen und dorvon nit abtretten, der bau sei usgemacht. Ueber die Vollendung und Einweihung des Hauses hat sich bis jetzt noch nichts gefunden.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Weinschenken. Die erste Bestallung eines solchen, die sich erhalten hat, und die ihrem Text die Grundlage bildet für alle weiteren, ist die folgende: Anno domini XVc und XX jare uff montag nach Viti (17.06.1520)ist Hen Hartungk vom ganzen raide, den vieren us der gemeyn vor eynen schengken uff gnomen, uff den eyd geredt und gelobt dem riechen und dem armen zuglich wyn schenken, dar bie burgen und selbest schillinge gesetzt nemlichen Heintze Buigkingk, Syen Vyncken, Hansz Baibst und Dytterich Weydemann, obe genanter Hen Hartung unserm gnedigen herrn ader syner gnaden rentschriber ader der stait und wynmeinstern von ungelt geweynst und klein ungelt und was eynem wynschencken gephort und pleget, von der stait wegen usz zu richten, gereden wir obgenant burgen und selbest schulgen so stet veste un unvorbruchtlich zu halten.
Das Bruchstück einer weiteren Urkunde vom 7. September 1528 scheint Hans Hartung in Nöten zu zeigen. Es scheint, dass seine Bürgen für seine Schulden gegen den Landgrafen, die Stadt, den Weinmeister und die Fuhrleute eintreten mussten. Er verspricht nun, mit seiner ganzen Habe dahin einzustehen, auch „Meze“ seine Mutter. Wo aber das nicht reichen sollte, bürgt Gerdrut Bickingenn mit ihrem ganzen Vermögen, außer dem hoif zu Eyffe, den sie Ritzen ihrem Sohn zu brutschatze übergeben hat. Schon im folgenden Jahre wurde der Weinschank an Jorge Gitz übertragen. Der letzte Weinschenk im alten Weinhaus war 1536 Wilhelm Opel.
Von nun an ist die Liste der Weinschenken fast lückenlos im alten Ratsbuch erhalten; die Vertragsurkunden werden je mehr und mehr breiter und ausführlicher. Es seien die Namen der Weinschenken angeführt, nebst dem Anteil, der ihnen von jedem verkauften Fuder zustehen sollte: 1539 Cort Liplei 18 tornis, 1542 derselbe 1 Pfd. 6 albus. 1544 Jost Zigenritter 20 albus (Diese Zahl bleibt bis 1567). 1548 Henz Enders. 1555 Reiz Bapst. 1559 Curdt Stam. 1567 Mutian Bardtman 1 Pfd. Gelds Alsfelder Währung. 1571 Elias Messerschmitt. 1573 Johannes Bücking. 1584 Hartmann Haeß. 1591 Peter Boecking 1 fl. 1602 Hennerich Greber. Bei dem Schenken Claus Weidtmann 1603 tritt der Branntweinschank hinzu, bei dem der Wirt von der Ohm 2½ fl. erhielt. 1607 Hennerich Böcking. 1612 Johannes Böckingk jünger. 1616 Henrich Gretzmöller. 1621 und 1636 Emmerich Hünn (Hynn). 1641 Georg Wieck, 2 fl. 1650 Johannes Jungblutt. 1659 Jost Bücking genannt Kümpel.
Von 1677 an tritt hinzu als Besoldung des Wirtes 6 fl. jährlich für Licht und Holz. Für ein Fudermaß erhielt in diesem Jahre der Wirt Johann Georg Kopp, Bürger und Buchbinder, 12 Kopfstücke. 1681 Conradt Wagner Bäcker. 1685 Joh. Gerhard Keller, Bürger zu Kirtorf; im selben Jahre noch Jost Keck, Bürger und Leinweber. 1691 Johannes Albert Cellarius, Bürger und Bäcker. 1693 Meister Johann Daniel Nieder von Kirtorf. Ihm wurden für die Maß Wein 4 [Seite-6] zugesagt. 1694 Joh. Keck, Bürger und Leinweber. 1711 Anton Freyhoffer, Steindecker. Unter ihm erhob sich 1716 ein Streit, ob aus der Maß Branntwein 16 oder 18 „Kängen“ zu zapfen seien. Nur sechs Wochen lang bestand der Ratsbeschluss, dass 18 „Kängen“ auf die Maß gehen sollten; dann traten die größeren Kännchen wieder in ihr Recht. Joh. Emrich Hartmann, der 1721 Weinwirt wurde, erhielt von der Maß Branntwein 5, der Schuhmacher Joh. Werner Hanitzsch 1725 für die Ohm Branntwein 2 fl. 5 albus Frankfurter Währung, ebensoviel der Bäcker Joh. Henrich Rinck 1730. 1736 wurde dem Bürger und Wollweber Joh. Baltzer Weylandt für die Maß Branntwein 5½ zugesprochen. Das letzte Verleihungsprotokoll im Ratsbuch zeigt als den, der 1744 im öffentlichen Verstrich das wenigste Zapfgeld akzeptierte, den Bürger Johann Hinrich Bernhardt. Er nahm für die Maß Wein, Branntwein oder Wachholderwasser 4.
Nüchterne, trockene Zahlen zeigen die vorhergehenden Ausführungen. Aber ein gemütliches, bürgerliches Treiben verbirgt sich dahinter. Wir sehen sie sitzen, die behäbigen Bürger unserer Stadt, wie ihnen in ihrem Weinhaus die Sorgen ihres Lebens entschwanden, wie sie in der kühlen Gaststube des Sommers Hitze, in der warmen Schenke des Winters Strenge vergaßen, wie sie redeten von den Händeln der großen Welt oder von den Anliegen der Stadt.
Der Wein spielte im Leben des damaligen Bürgertums eine viel größere Rolle als heutzutage. Mit Wein wurde jeder wichtige Handel abgeschlossen, Wein wurde bei den Sitzungen des ehrbaren Rates getrunken und dazu aus dem Weinhaus geliefert. Machte sich einer einer Strafe schuldig, sie bestand oft in Wein. Und selbst die Gebühren des Rates wurden oft in Wein entrichtet.
Eine solche Gebührenordnung soll den Schluss unserer Ausführungen bilden: Anno 1532 fritags nach Corporis Christi (7. Juni) hot sich ein irrung zugedragen was einem erbern radt zu geben geboere, wen der in die stadt, vorstedt, zeun, veltmargk, und usser halb der veltmarck gefuert wird, das gehn Alsfelt gchorig ist, also das sich der zit ein erber radt verglichen, unter einander erkent und beschlossen hot, das ein yder so einen erbern (rat) in di stadt und vorstedt furet und di negsten garten darzu gelegen, sol geben acht halbe weins, in das velt zwelf halbe weins, und usserhalb der veltmarg sex zehen halbe weins.
Dazu noch als etwas späterer Zusatz:
So einer etwas dem gerichtsbuch insinuiren lassen will, davon gepuret den hern sechzehen halb weins. Einsatz in ein gut kost sechzehen halb weins.
Erstveröffentlichung:
Prof. Dr. Eduard Edwin Becker, 1905, Das Weinhaus zu Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, Nr. 7, 1905, S. 3-6.
[Stadt: 23.04.2024]