Von Dr. Fritz Herrmann, Alsfeld (1908)
Im Spätherbst des Jahres 1824 hatte sich der Bewohner der guten Stadt Alsfeld eine gelinde Aufregung bemächtigt: im Beinhaus war ein Schatz gefunden worden! Die Kunde ging zuerst heimlich von Mund zu Mund, dann aber pfiffen es die Spatzen von den Dächern, und je mehr davon geredet wurde, desto größer wurde die Summe, die von den glücklichen Findern angeblich in Sicherheit gebracht worden war. Wie gut hätte die Stadt selbst das Geld brauchen können, und ihr kam es von rechtswegen zu, denn das Beinhaus, das als Malzdarre benutzt wurde, war städtisches Eigentum. So beschlossen denn die Stadtväter, zu retten, was etwa noch zu retten war, und beauftragten den Bürgermeister Bücking, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihm gestand denn schließlich auch einer der Beteiligten, der Braumeister Leonhard Allendorf nach längerem Leugnen ein, dass in der Tat im Gewölbe des Beinhauses ein Töpfchen mit 17 Goldgulden gefunden worden sei, und die vier Goldgulden, die er davon erhalten hatte, lieferte er samt dem Gefäß dem Stadtoberhaupt ab. Aber niemand wollte ihm glauben, dass nur ein so geringer Betrag in dem Gefäß gewesen sei, und so stellte denn der Bürgermeister beim Landgericht in Alsfeld den Antrag auf eine offizielle Untersuchung. Der Landrichter Ellenberger entsprach diesem Wunsche, und das von dem Landgerichtsaktuar Wamser geführte Protokoll über die verschiedenen Vernehmungen in dieser Sache, die sich bis in den März des folgenden Jahres hinzogen, ermöglicht es uns, den Tatbestand noch festzustellen. [01] Um es gleich im Voraus zu sagen: es waren in der Tat nur 18 Goldgulden – einen davon hatte der Finder sofort in seine Tasche gesteckt, ohne seinen Genossen etwas davon zu sagen: im Beinhaus gefunden worden, und die Hoffnung, dem allzeit bedürftigen Stadtsäckel eine außerordentliche Beihülfe zuzuwenden, musste der Stadtrat zu seinem Schmerze aufgeben. [Seite-139]
Die Sache aber hatte sich folgendermaßen zugetragen. An einem schönen Septemberabend zwischen 9 und 10 Uhr hatten die Bürger Johannes Ploch, der Glaser Konrad Noll und sein Bruder Balthasar, sowie der Braumeister den Arbeitern zugesehen, die im Auftrag des Rates die Knochen aus dem Gewölbe des Beinhauses schafften und wegfuhren. Die Neugierde trieb sie in das Gewölbe selbst hinein, wo dann Balser Noll das Gutlicht aus der Laterne nahm und in die Winkel leuchtete. Hinten an der Mauer rechter Hand vom Eingang sah er auf den Knochen einen großen Topf stehen und merkte beim Schütteln desselben, dass etwas darin war. Was er zuerst für eine Kugel hielt, entpuppte sich beim Umstülpen des Gefäßes als ein kleines Töpfchen, das beim Schütteln verheißungsvoll rappelte. „Ihr Brüder“, so ruft er in seiner Freude, „wir sind glücklich!“ Voller Erwartung begaben sich nun die Schatzfinder in das Haus Konrad Nolls, wo in Gegenwart der Mutter des Glasers und der Frau seines Bruders Balser das Töpfchen entleert wurde. Hinterher musste Balser, der eigentliche Finder, zugeben, dass er, wie erwähnt, unterwegs der Versuchung nicht hatte widerstehen können und ein Geldstück heimlich herausgenommen hatte. Von den noch im Gefäß befindlichen 17 Goldgulden erhielt er fünf, die anderen je vier Stück. Rasch eilte man wieder in das Gewölbe zurück, aber mehr war nicht zu finden. Zur Feier des Ereignisses wurde dann der Abend mit einem Trunk Branntwein beschlossen.
Es war klar, dass bei so vielen Teilnehmern das Geheimnis nicht gewahrt bleiben konnte, um so weniger, als die Verwertung der alten Stücke nicht ohne Beihilfe anderer Personen möglich war. Ploch wechselte eines seiner Goldstücke bei Isaak Spier zu 4 fl. 40 Krz., die drei übrigen bei Moses Schaumberger zu je 5 fl. 15 Krz. ein. Konrad Noll benutzte seine vier Dukaten und einen von denen seines Bruders zur Begleichung einer Glasrechnung bei dem Kaufmann Joh. Christof Ehinger in Grünberg, und Balser wechselte die ihm noch verbliebenen fünf Stücke bei dem Lotteriekollekteur Homberger aus Gießen ein, dem er ohnehin noch 8 fl. Einlage zu bezahlen hatte. Auch diese beiden erhielten für das Stück 5 fl. oder etwas darüber. Nur Allendorf behielt seinen Anteil im Hause.
Da sich die Beteiligten vor dem Gericht nur in nebensächlichen Kleinigkeiten widersprachen, in der Hauptsache aber, der Angabe der gefundenen Summe, einig waren, schien die Sache rasch zur Erledigung kommen zu sollen. Aber wenn auch der Richter den Aussagen der Finder Glauben schenkte, die öffentliche Meinung war weit davon entfernt, das Gleiche zu tun. Wenige Tage nach dem ersten Verhör erschien Bürgermeister Bücking wiederum vor Ellenberger und gab zu Protokoll, dass der Galanteriekrämer Josef Jordan aus Winterberg in Preußen, wohnhaft zu Alsfeld, in [Seite-140] Gegenwart des Bürgers Heinrich Volkmar vor kurzem geäußert habe, ihm seien Goldstücke von großem Wert angeboten worden, er dürfe aber nicht verraten, von wem; ferner dass der Braumeister etwas in seiner Schürze aus dem Beinhaus getragen habe, was einige der Arbeiter bezeugen könnten. Volkmar und Jordan hatte der Bürgermeister gleich mitgebracht. Ersterer erklärte dann, er sei im vergangenen September von dem Stadtschreiber Koch in das Haus des Beigeordneten Ramspeck bestellt worden und habe daselbst Jordan im Gespräch mit Koch über eine goldene Uhr angetroffen. Auf die Äußerung des Koch, man sähe gar keine Goldstücke mehr, habe der Händler erwidert, er könne alte Goldstücke herbeischaffen; für eines, das ihm angeboten worden sei und das er nicht kenne, habe er zwei Karolin geboten. Der Stadtschreiber antwortete, er wisse nicht, wer hier in Alsfeld solche Goldstücke haben könne, es müsste denn gerade das Dukatenmännchen sein. Auf die Frage Jordans, wo der so Bezeichnete wohne – vielleicht vermag einer der älteren Leser dieser Blätter noch anzugeben, welcher reiche Alsfelder seiner Zeit mit diesem Spitznamen beehrt wurde – erklärte Koch: neben dem Forstkassier. Jordan aber habe gesagt, sein Mann, den er nicht verraten dürfe, wohne dort nicht. Der Galanteriewarenhändler sagte nun freilich unter seinem Eide aus, dass er von dieser ganzen Unterhaltung nichts wisse. Wenn er mit Koch von Gold gesprochen habe, so müsse das im August gewesen sein, denn im September sei er auswärts auf Märkten gewesen. Habe er wirklich etwas von Besitzern alten Goldes gesagt, so könne er nur den alten Postmeister genannt haben, von dessen Hinterlassenschaft ihm einst der Kronenwirt unter anderem einen viereckigen Dukaten gezeigt habe.
Was aber den Braumeister Allendorf anlangt, so hatte dieser sich in der Tat den Arbeitern einigermaßen verdächtig gemacht. Er war, offenbar an den Tagen unmittelbar nach dem Funde, mehrmals abends im Gewölbe erschienen und hatte einmal sogar eine ganze Nacht beim Fortschaffen der Knochen freiwillig geholfen. Dazu hatte er, wie die Arbeiter Burkard Lingemann, Alexander Opel, Johann Ettling, Johann Köhler und Johann Ruppel bei ihrer Vernehmung im Anfang Dezember aussagten, dazu aufgefordert, in der Ecke linker Hand zu graben, denn dort habe er ein Feuerchen brennen sehen, also müsse ein Schatz da sein; er wolle Frau und Kinder nicht gesund wiedersehen, wenn seine Angabe nicht wahr sei. Stets wühlte er in den Knochen herum, und als Lingemann mit der Hacke einen unter den Knochen befindlichen Topf zerschlug, raffte er die Trümmer und den Inhalt rasch in seine Schürze, schüttete alles aber wieder zur Erde, als er merkte, dass nicht Diamanten sondern Glas seine Beute war. Auch hatte er den Arbeitern an einem Abend einen Doppelgroschen für Schnaps, an einem anderen eine Kanne voll warmen Bieres gespendet. [Seite-141]
Auf Grund dieser Vernehmung der Arbeiter hielt es der Landrichter doch für angemessen, bei Spier und Schaumberger sowie bei Ehinger in Grünberg genaue Erkundigung nach der Zahl der von ihnen eingewechselten und der etwa ihnen noch weiter angebotenen Stücke einzuziehen. Das geschah dann freilich erst im Januar 1825. Mitte Dezember aber war unterdessen ein Reskript des Großh. Kirchen- und Schulrates, unterzeichnet von dem Inspektor Vietor, eingelaufen, in welchem mitgeteilt wird, dass zwei der Finder nach Frankfurt gereist seien, um 500 Stück Dukaten wechseln zu lassen, und dass sie diese auch einem Kaufmann in Friedberg an geboten hätten. Um nähere Auskunft ersucht, erklärte dann Vietor er habe seine Anzeige über den in der ehemaligen Kapelle gemachten Fund nur erstattet, damit man ihm nicht später einen Vorwurf machen könne, aber dass er sich nun auf Details einlassen solle, schiene ihm doch zuviel gefordert zu sein. Soviel wolle er jedoch sagen, dass das Faktum nicht etwa aus der Luft gegriffen sei und auch kein Geschwätz des Pöbels. „Ich habe – so schreibt er wörtlich und zeigt damit, dass allerlei aus der geführten Untersuchung in die Öffentlichkeit gedrungen war und den Ansatzpunkt für weitere Ausschmückung gegeben hatte – einen Gewährsmann, der mir sagt, dass man bereits im Besitz von 18 Dukaten sei, die alle sehr gut erhalten und zum Teil mit Kreuzen ausgeprägt und mit griechischen Überschriften versehen seien. Man habe weiter zwei Töpfe, einen großen und einen kleinen gefunden, in welchen der Schatz enthalten gewesen ist. Wenn diese Angabe unrichtig ist, so stelle ich meinen Mann.“ Wie fest man in ganz Alsfeld von der Existenz eines größeren Schatzes überzeugt war, geht aus den weiteren Ausführungen Vietors hervor, die einen starken Vorwurf gegen den die Untersuchung führenden Richter enthielten; er meint, seit dem Funde sei schon so viel Zeit verflossen, dass die Finder das Geld hätten in Sicherheit bringen und sich über ihre Aussagen verständigen können; wenn er, der Inspektor, die Untersuchung zu führen gehabt hätte, würde er die Beschuldigten in separate Haft genommen und ihnen jede Verabredung unmöglich gemacht haben. Im Übrigen gab er noch an, der Friedberger Kaufmann heiße Morell, und dessen Reisender habe die Geschichte von den 500 Dukaten im Friesischen Hause erzählt.
Für den Richter ergab sich jedoch aus den Aussagen von Spier und Schaumberger, die nochmals vernommen wurden, sowie aus der durch das Landgericht in Grünberg erwirkten des dortigen Kaufmanns Ehinger, dass an dem ganzen Gerede von einer größeren Summe nichts sei, denn die den Genannten angebotenen Goldstücke stimmten der Zahl nach genau mit den eingestandenermaßen gefundenen, und es war in der Tat nicht einzusehen, warum die Finder etwaige weitere Stücke nicht gleichfalls den ihnen bekannten und nahen Wechslern hätten anbieten sollen, wenn [Seite-142] sie solche wirklich gehabt hätten. Dem vagen Gerede von den in Friedberg angebotenen 500 Goldgulden nachzugehen, hielt denn der Richter auch nicht mehr für nötig. Auch Allendorf vermochte in der letzten Vernehmung am 17. März seine Spenden an die Arbeiter die in Anbetracht der Umstände ihn am meisten belasten mussten, einigermaßen zu erklären: den Branntwein hatte er bezahlt, weil man ihn darum gebeten hatte, und das Bier hatte er zum Besten gegeben, weil ein gewisser Filly aus einem Totenkopf getrunken habe, d. h. wohl, damit der Genannte aus dem höchst unpassenden Gefäß trinken sollte. Dass er etwas in der Schürze weggetragen habe, bestritt er, nur ein Stück Glas habe er mitgenommen, das er nachher in Gegenwart des Schuhmachers Burkhard zerbrochen habe, um zu sehen, was es sei. So erging denn am genannten Tage der Gerichtsbeschluss, dass die Sache auf sich zu beruhen habe und es der Stadt Alsfeld vorbehalten bleibe, ihre allenfallsigen Ansprüche auf dem Wege des Zivilprozesses zu verfolgen. Ob die Stadt dies getan hat, vermag ich nicht zu sagen; vermutlich hat sie darauf verzichtet.
Mehr als diese ziemlich im Sand verlaufene Untersuchung interessiert uns die Frage nach dem Funde selbst und nach den Umständen, die den einstigen Eigentümer veranlasst haben mögen, sein Geld an der vom Schauer des Todes umwehten und darum besonders sicheren Stätte zu verbergen. Wohin die vier von dem Braumeister Allendorf abgelieferten Goldstücke gekommen sind, wird wohl kaum mehr zu ermitteln sein. Bei den Akten befindet sich leider auch keine Angabe über die Stücke selbst, ihr Alter, die Prägung. Auch die Aussage, welche der Kaufmann Ehinger vor dem Grünberger Landgericht machte, von den bei ihm in Zahlung gegebenen fünf Dukaten seien zwei stark beschnitten und mit einer unleserlichen „Mönchsschrift“ versehen gewesen, bietet keinen Anhalt für die Bestimmung des Alters der Stücke. An dem Fundorte niedergelegt worden sind sie frühestens nach dem Jahre 1510, in welchem das jetzt noch stehende Beinhaus, vielleicht genau an der Stelle des früheren, [01] errichtet wurde. Wenn man nach Zeiten sucht, die einen vorsichtigen Bürger veranlassen konnten, sein Geld in Sicherheit zu bringen, so hat man eine reiche Auswahl. Zu keiner Zeit aber war die Gefahr für die Besitzer von Geld und Gut so groß, wie im 30-jährigen Kriege, und es liegt wohl am nächsten anzunehmen, dass während dieses Krieges, der Alsfeld mehr wie einen Überfall und manche Brandschatzung gebracht hat, die 18 Goldgulden im Beinhaus versteckt worden sind und dass der Eigentümer gestorben ist, ehe er einem andern sein Geheimnis hatte eröffnen können. So ist es gekommen, dass man erst im Jahre 1824 das Geld fand – und gern noch mehr gefunden hätte.
Fußnote:
[01] Vgl. Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, Nr. 1, S. 7.
Ersterwähnung:
Dr. Fritz Herrmann, Der Schatz im Beinhaus zu Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 2. Reihe, Nr. 7, 1908, S. 138-142.
[Stand: 26.03.2024]