Von Dr. Werner Meyer-Barkhausen, Marburg (1927)
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Weinhaus entsteht in der Südwestecke des Marktes zwischen Mainzergasse und Baugasse ein mächtiger Renaissancebau, der nun alle gotische Tradition abgestreift hat. Der Grundriss des inschriftlich 1565 datierten Gebäudes [02] nähert sich dem Quadrat (Abb. 1). In drei durch Gesimse getrennten Geschossen baut es sich auf und wendet nach drei Seiten mächtige Giebelfronten (Abb. 2) [03].
An der Ecke zum Markt ist den beiden oberen Geschossen ein rechteckiger Erker vorgebaut, der auf einer sich mit der säulenförmig abgerundeten Hausecke durchdringenden, reich profilierten Konsole aufsitzt (Abb. 3, 5, 6). Die dreistufigen Giebel sind durch Pilaster und Gesimse in rechteckige Felder aufgeteilt, wobei die oberen und unteren Stufen durch flache Bögen, die mittleren durch S-Voluten mit Blattgefieder ausgefüllt sind. Den oberen Abschluss bildet am Ostgiebel ein Halbrad mit Delphinen, am Nordgiebel ein Halbrad mit Schellen und an [Seite 27] der Südseite ein kleiner Dreiecksgiebel mit Schellen. Schellenzierrat, hat überhaupt reichlich. Verwendung gefunden, namentlich am Fuß der einzelnen Giebelstufen und auf den viereckigen Zierpfeilern, die die Giebel beiderseits begrenzen. Den Hauptschmuck des Gebäudes stellt jedoch der Erker dar mit seinen sorgfältig profilierten Gesimsen und Fenstergewänden, mit den reich ornamentierten Brüstungsplatten im Obergeschoss
und den noch mit gefiederten S-Voluten und Schellen besetzten Abschlusshalbrädern (Abb. 5, 6). Von den Portalen ist je eins an der Nord- und Ostseite reicher mit Pilastern und Giebel ausgestattet. Dazu kommen am Ostportal Bildnismedaillons, Inschrift und Jahreszahl (Abb. 4). Von den schön profilierten rechteckigen Fenstern sind in den Hauptgeschossen meist zwei oder drei zu Gruppen zusammengefasst.
Im Innern stellt das Untergeschoß eine weite Halle dar, deren mächtige Rundpfeiler offenbar denen der Rathaushalle nachgebildet sind (Abb. 1). In diese Halle hinein, die wohl früher für Marktzwecke bestimmt war, führen jene beiden Giebelportale, so einen Durchgang von der Mainzer- zur Baugasse darstellend. Auch heute noch könnte dieser schöne alte Raum wiederhergestellt dem Marktbetrieb gute Dienste leisten, ganz abgesehen davon, dass man durch seine Instandsetzung den Sehenswürdigkeiten der Stadt ein wesentliches Stück hinzufügen würde.
Die beiden Obergeschosse, die ehemals städtischen und privaten Festlichkeiten dienten, sind heute zu Museums- und Archivzwecken umgebaut. Den Zugang zu ihnen vermittelt an der südöstlichen Ecke ein Treppenturm mit steinerner Wendeltreppe. Von der alten Innenarchitektur [Seite-28] sind im Mittelgeschoss noch die schweren geschnitzten Mittelstützen des Hauptsaales, sowie das Deckengebälk sichtbar (Abb. 7).
Auch hier sind die großzügigen gewölbten Kelleranlagen, deren Zugang an der Ostseite neben dem Hauptportal liegt, beachtenswert.
Im Ganzen stellt dieses stattliche, zwar im Ornament nicht sehr reiche, aber wirkungsvoll und klar gegliederte und gut proportionierte Bauwerk, das im Volksmunde noch als „der Bau“ bezeichnet wird, eine beachtliche architektonische Leistung der hessischen Renaissance dar.
Eine genauere Untersuchung des Gebäudes hat es nun auch ermöglicht, mit einiger Sicherheit den Namen seines Erbauers festzustellen. Dieser hat sein Bildnis, Steinmetzzeichen und Monogramm neben Zirkel und Zollstock in einem der den Erker abschließenden Halbräder angebracht (Abb. 6). Die Buchstaben H M S sind höchstwahrscheinlich auf Hans Meurer zu beziehen, wobei das S als „Steinmetz“ zu lesen ist [04]. Hans Meurer ist schon 1538 als Polier am Bau des Weinhauses tätig [05]. 1539 erwirbt er das Bürgerrecht in Alsfeld [06]. 1560 arbeitet er im Auftrage der Stadt an der Treppe des Weinhauses zusammen mit Jochem Schröder [07]. 1561 sind die Arbeiten am „neuen Bau“ bereits im Gange [08]. Ist es schon an sich wahrscheinlich, dass Hans Meurer an ihnen beteiligt war, so wird das nun durch das Monogramm bestätigt. Vielleicht darf man auch das über der Inschrift an der unteren Erkerbrüstung befindliche Monogramm J S, auf seinen Mitarbeiter von 1560, Jochem Schröder beziehen (Abb. 5) [09].
Anmerkungen:
[01] Vgl. Becker, Eduard Edwin: Das Weinhaus zu Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, Nr. 7, 1905, S. 1-6: Verträge der Stadt mit Hans von Frankfurt über den Bau des Weinhauses vom 5. Januar, 6. Februar und 23. Juni 1538. Darin der Name des Poliers Hans Meurer und von sechs Gehilfen: Hans Kaldenschne, Rynchen Henn, Gerge Hen von Walen, Jakob von stat Geissa, Sang Wolf von Geissa, Hen Morer von Hersfeldt.
[02] Die Jahreszahl 1565 findet sich über dem Ostportal und in der Inschrift an der unteren Erkerbrüstung. Da schon 1561 Arbeiten im „neuen Bau“ erwähnt werden (Becker, Eduard Edwin: Aus den verbrannten Stadtrechnungen (1577-1662), in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 3. Reihe, Nr. 21, 1912, S. 163-168, S. 167), handelt es sich bei dem Datum 1565 offenbar um den Abschluss. Die Angabe der Gilsa‘schen Chronik (Becker, Eduard Edwin: Die Chorographie von Gilsa und Leußler (Teil 7/8), in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 5. Reihe, Nr. 20, 1923, S. 141-156, S. 154.), dass die Bauzeit von 1564-1571 gedauert habe, ist danach zu berichtigen. Die Fertigstellung der Einrichtung hat sich noch lange hingezogen: 1599 stellt Michael Finck fünf Anrichten für die Küche des neuen Baues her, ferner ein „Gegutter under den neuen Bau“ (Becker, Eduard Edwin: Aus den verbrannten Stadtrechnungen (1577-1662), in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 3. Reihe, Nr. 21, 1912, S. 163-168, S. 168.)
[03] Das Stadtbild von 1633 zeigt vier Giebel (wohl der Regelmäßigkeit halber), während auf den anderen alten Stadtbildern, namentlich dem von 1646 in der Walpurgiskirche das Hochzeitshaus nur drei Giebel hat. Am Bau selbst findet sich keine Spur eines ehemaligen vierten Giebels.
[04] Als Beispiel für die Gebräuchlichkeit dieses Titels sei hier ein Warburger Bauvertrag von 1396 angeführt, in dem sich der Baumeister bezeichnet: „Ich Henrich von Eythach, Steinmetze …“ L. Hagemann, Geschichte und Beschreibung der beiden katholischen Pfarreien in Warburg. I. Die Neustädter Pfarrei S. 10.
[05] Vgl. Anmerkung [01]
[06] Becker, Eduard Edwin: Bürgerlisten der Stadt Alsfeld, hrsg. im Selbstverlag des „Historischer Verein für das Großherzogtum Hessen“, Darmstadt 1907, 215. Von den am Weinhaus Beteiligten erwirbt im gleichen Jahr Hans Kalschne (= Kaldenschne) das Bürgerrecht.
[07] Becker, Eduard Edwin: Aus den verbrannten Stadtrechnungen (1577-1662), in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 3. Reihe, Nr. 21, 1912, S. 163-168, S. 167: 1560. 13½ Schilling Hans Meurern; 13½ Schilling Jochem Schroedern, haben diese Woche (Kiliani 8. Juli) drei Tag gearbeit an den Dreppen zum Halseisen am Weinhaus.
[08] Vgl. Anm. [02]
[09] Im linken Halbrad über dem Erker befinden sich noch die Initialen VD und HD, die ich indes nicht zu deuten vermag.
Erstveröffentlichung:
Meyer-Barkhausen, Werner: Alsfeld, in: Alte Städte in Hessen, Band 1, Marburg 1927, Seite 26-28.
Vertiefungsliteratur:
Dotter, Karl: Das Hochzeitshaus zu Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 6. Reihe, Nr. 22, 1933, S. 185-197.
Jäkel, Herbert: Das Hochzeitshaus zu Alsfeld. Nicht nur ein Baudenkmal zum Anschauen – auch ein Teil der Urbanität, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen, Band 77, Gießen 1992, S. 361-376.
[Stand: 01.01.2024]