Moralische Zerknirschung an Gedenktagen reicht nicht aus
Pfarrer Peter Remy für Aufarbeitung im Verhältnis zwischen Christen und Juden

Von Pfarrer Peter Remy in Oberhessische Zeitung (pcf), 29.12.2005

Eine „Reformation an Haupt und Gliedern“ fordert der Alsfelder Pfarrer Peter Remy von seiner Kirche, was das Verhältnis zum Judentum betrifft. „Es kann nicht die alleinige Antwort sein, an Gedenktagen moralische Zerknirschung zur Schau zu stellen“, sagte Remy im OZ-Gespräch.

OZ am 29.12.2005

Auch auf den Christen laste nach dem Holocaust eine große historische Schuld, die noch längst nicht überwunden sei. „Wir stehen noch am Anfang“ so der Theologe. „Erst langsam bricht da etwas auf.“ Über Jahrzehnte hinweg habe individuelle Schuld eine Aufarbeitung erschwert, „heute können wir frei darüber denken“.

Remy betont, dass der christliche Glaube ohne das Judentum nicht zu verstehen sei: „Was wir alle noch lernen müssen, ist, dass ich den christlichen Glauben nur dann nahe bringen kann, wenn ich seine Grundlage nicht vergesse.“ Die Pfarrer müssten diesen Gedanken deutlicher vertreten: „Es fängt damit an, dass wir in der Gemeinde, in Lehre und Predigt, herausstellen, wie stark das Christentum vom jüdischen Glauben geprägt ist.“

Dass Jesus als Jude geboren wurde und als Jude starb, unterstreiche die enge Verbindung zwischen den beiden Religionen: „Die Christen waren zu Beginn nichts anderes als eine Sekte innerhalb des Judentums.“

In dieser Opposition lägen die Wurzeln des Antijudaismus, der sich im Christentum später immer wieder Bahn gebrochen habe. „In der Kirchengeschichte gab es häufig den Impetus, die Juden zu bekehren.“ Diese Einstellung sei nach jedem Misserfolg in Gewalt umgeschlagen. Auch der Reformator Martin Luther habe die Juden zunächst auf seine Seite ziehen wollen. Nachdem er damit scheiterte, habe er gefordert, „dass man ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecke“.

Erst wenn man diese Bekehrungsabsicht aufgebe, könne dieser Automatismus durchbrochen werden. Assimilation sei dabei keine Lösung: „Dieses Wort ist Euphemismus dafür, dass man an eigenem Profil verliert.“ Aus christlicher Sicht gelte es zu akzeptieren: „Das Fremde darf fremd sein und bleiben.“

Erstveröffentlichung:

Peter Remy, Moralische Zerknirschung an Gedenktagen reicht nicht aus. Pfarrer Peter Remy für Aufarbeitung im Verhältnis zwischen Christen und Juden, in: Oberhessische Zeitung, 29.12.2005.

[09.07.2024]