Von Prof. Dr. Karl Esselborn (1929)
Das Sprichwort „Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland“ gehört zu den wahrsten seiner Art, und darum sind die Ausnahmen von dieser Regel um so erfreulicher. Zu diesen Ausnahmen gehört Richard Hoelscher, einer der ersten hessischen Maler der Gegenwart. Der Schauplatz seines Lebens ist das Hessenland, ihm entnimmt er die Gegenstände und Motive seines künstlerischen Schaffens, und nur vorübergehend und in Ausnahmefällen ist es anders. In den kunstliebenden und kunstpflegenden Kreisen seiner hessischen Heimat schon lange höchst geschätzt, wurde ihm am 11. August 1928 eine offizielle Anerkennung zuteil durch die Verleihung des staatlichen Georg-Büchner-Preises, der einzigen Auszeichnung, die die gegenwärtige Staatsregierung zu vergeben hat. Die Verleihung dieses Preises an ihn zählt zu denen, die nirgends Widerspruch erfahren haben oder auch nur im entferntesten bemängelt worden waren. Und das will in der heutigen Zeit schon etwas heißen.
Richard Hoelscher ist Oberhesse, in Alsfeld ist er am 5. Februar 1867 geboren, sein Vater war der Fotograf Heinrich Hoelscher, seine Mutter entstammte der bekannten Familie Ehrenklau. Sein Geburtsstädtchen, von dem großen Verkehr abgelegen, hat darum in seiner äußeren Erscheinungsform viel Altertümliches bewahren können, das anderwärts ein Opfer der über Gebühr gepriesenen neuzeitlichen Verkehrsentwicklung geworden ist. Der rauhe, wilde Vogelsberg und das liebliche Schwalmtal teilten nicht sowohl der umgebenden Landschaft, sondern auch den sie bevölkernden Menschen ihren Charakter mit. Ist auch der Grundcharakter ernst, fehlt doch nirgends Stimmung, Reiz und Gemüt.
Die Realschule seiner Geburtsstadt war die Bildungsstätte des jungen Hoelschers. Mit sechzehn Jahren (Ostern 1883) verließ er sie und wurde im Herbst 1883 auf der Akademie der bildenden Künste in Kassel Schüler von Louis Kolitz, Hermann Knackfuß, Karl Wünnenberg, Hugo Schneider, Emil Neumann. Daneben vermittelte ihm die Kasseler Gemäldegalerie unauslöschliche künstlerische Eindrücke und fruchtbare Anregung. Wenn er sich im Sommer 1887 in Berlin der Prüfung für Zeichenlehrer an höheren Schulen unterzog, so folgte er hierbei mehr dem Wunsche seiner Eltern als dem Drange seines Künstlerherzens, das nach uneingeschränkter Kunstbetätigung strebte. Nach Ablegung dieser Prüfung kehrte er zur Erfüllung seiner Militärpflicht nach Kassel zurück, dann widmete er sich selbständigen künstlerischen Arbeiten in Alsfeld und gab zugleich als Volontär Zeichenunterricht an der dortigen Realschule. Bereits nach einem Jahre, im Herbst 1889, wurde er vertretungsweise an dem Realgymnasium und der Realschule sowie an der Kunstgewerbeschule zu Offenbach a.M. verwandt und abermals ein Jahr danach, Herbst 1890, als Lehrer an das neueröffnete Neue Gymnasium zu Darmstadt versetzt. Den Zeichenunterricht an dieser Schule behandelte er in einer auf Ostern 1896 erschienenen Programmabhandlung, die sein einziger schriftstellerischer Versuch blieb. Am 11. Mai 1898 zum Oberlehrer und am 27. April 1907 zum Professor ernannt, wirkte er an dem Neuen Gymnasium, bis er auf Ostern 1914 aus dem Staatsdienst ausschied, um sich ausschließlich dem künstlerischen Schaffen widmen zu können, wie er es als Beurlaubter schon die drei letztvergangenen Jahre getan hatte. Sein Schaffen in der Stille der Heimat unterbrach er durch Studienreisen nach London, Paris und Holland, wodurch sein Gesichtskreis erweitert, doch die Richtung seiner Kunst nicht verändert wurde, deren Schwerpunkt unverrückt die von ihm regelmäßig alljährlich aufgesuchte alte Heimat, Alsfeld, und seine zweite, Darmstadt, blieb. Auch die nach dem Kriege unternommenen Studienreisen nach der Schweiz und Italien konnten hieran nichts ändern.
Anfangs in Auffassung und Farbengebung von seinem Odenwälder Landsmann Heinz Heim (1859-1895) beeinflusst, fand Hoelscher bald seinen eignen Stil, indem er seine Seele in die Eigenart seines eignen Volksstammes liebevoll versenkte und sie schlicht, echt und gemütvoll in Charakterköpfen oder oft nur eine oder zwei Figuren aufweisenden Genrebildern schilderte. Nicht minder tief und wahr wusste er seine Heimat in charakteristischen Innenräumen oder staffagelosen Landschaften zu erfassen. Daneben hat er zahlreiche namhafte hessische Persönlichkeiten im Bilde festgehalten, denn er erfreut sich eines großen Rufs als Bildnismaler. Als ein Meister der monumentalen Malerei kennzeichnen ihn der acht Bilder umfassende, an Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ anknüpfende Siegfriedzyklus, den er 1920 und 1921 für das Treppenhaus des Darmstädter Realgymnasiums schuf, sowie eine Folge von zweiundzwanzig Bildern nach Themen aus der Edda, die er im Winter 1923/1924 für die Augustinerschule in Friedberg entwarf, doch sind davon bis jetzt nur zwei an der Stelle angebracht, für die sie geschaffen wurden.
Hoelscher ist ebenso vielseitig in dem Gegenstand seiner Kunstschöpfungen, die Bildnisse, Sitten- und Innenbilder, monumentale Wandbilder, Landschaften und Stillleben sind, wie in der Art der Ausführung, die zwischen Öl, Aquarell, Pastell, Kohlezeichnung und Radierung wechselt. Seine grelle Farbentöne vermeidenden und meist auf einen vorherrschenden Grundton ungemein harmonisch abgestimmten Bildet, die in der neusten Zeit eine gesteigerte lichte Farbigkeit aufweisen, atmen den ernsten Charakter seiner oberhessischen Heimat. Sie sind aber auch ein treues Abbild seiner eignen schlichten, wahrhaftigen, ehrlichen, zurückhaltenden Persönlichkeit, die in die Tiefe und auf das Wesen der Dinge geht, Worte verschmäht und durch die Tat wirkt. Seine Werke haben in zahlreichen Gemäldesammlungen Eingang gefunden, sein Name ist über Hessen, ja Deutschland hinaus bekannt geworden, namentlich weist der englische Privatbesitz viele seiner Schöpfungen auf Hoelscher ist ein Beweis dafür, dass kein Künstler seine heimatliche Eigenart zu verleugnen braucht, um über sie hinaus anerkannt und beachtet zu werden, ja dass im Gegenteil die echte Kunst ihre Wurzeln tief in die Heimat ihres Schöpfers versenken muß.
Erstveröffentlichung:
Karl Esselborn, Richard Hoelscher, in: Heimatblätter für den Kreis Alsfeld, 5. Jahrgang, 1929, S. 1-2.
[Stand: 12.06.2024]