Die Dichterin Johanna Merck, geb. Neubauer

Von Peter Merck, Assessor im Lehramt (1968)

Sie zählt nicht zu den großen deutschen Dichterinnen. Ihr Name und ihr Werk ist in den einschlägigen Literaturverzeichnissen und Lexika nicht zu finden. Ihr Werk und Leben ist jedoch nicht so unbedeutend, dass man ihres 230. Geburtstages nicht gedenken sollte.

Johanna Maria Elisabetha Merck wurde am 25. Februar 1737 in Gießen als Tochter des Theologieprofessors Ernst Friedrich Neubauer geboren. Ihr Vater, am 31. Juli 1705 in Magdeburg geboren, starb am 15. März 1758 in Gießen.

Er war ein Sohn des Kgl. Preuß. Münzmeisters in Magdeburg (später in Berlin) Johann Georg Neubauer und der Elisabetha Dorothea Vollprecht, einer Tochter des Ratsherrn Georg Vollprecht in Goslar und der Anna Elisabeth Reck.

Johanna verlor ihren Vater früh. Durch Johann Jacob Rambachs Vermittlung erhielt er 1732 den Ruf als ordentlicher Professor der griechischen und orientalischen Sprachen nach Gießen. Nach Rambachs Tod wurde er 1736 außerordentlicher, 1743 ordentlicher Professor der Theologie. Neubauer gab die Schriften Rambachs, mit Vorreden versehen, heraus.

Die Mutter der Dichterin war Caroline Benigna Hahn. Sie verheiratete sich in zweiter Ehe mit dem Prof. der Theologie in Gießen Dr. Andreas Müller (gestorben 1762) und war eine Tochter des Steuerprokurators und Ratskonsulenten Dr. jur. Christian Siegfried Hahn zu Langensalza (1684-1733), dieser hatte sich am 14.04.1712 in Sondershausen mit Johanna Marie Lucia Gersten (gestorben Langensalza 29.09.1731) verheiratet, die damit die mütterliche Großmutter von Johanna Neubauer wurde. Durch sie hatte die Dichterin weitreichende verwandtschaftliche Beziehungen zu bekannten hessischen Familien, denn deren Vater war, bevor er als Fürstl. Schwarzburgischer Regierungskanzler nach Sondershausen berufen wurde, Prof. der Rechte an der Universität Gießen. Es war Dr. Johann Justus Gersten (1661-1712), Sohn und Enkel hessischer Pfarrerfamilien (seine Mutter war eine geb. Rosler, durch die er von einer Schwester Melanchthons abstammte) und seine Frau war Marie Margarethe Urhahn, 1665-1741, aus einer Solmsischen Beamtenfamilie in Lich.

Johanna Neubauer vermählte sich am 5. Juli 1759 in Gießen mit dem Alsfelder Amtsphysikus Franz Christian Merck (geb. 29. September 1732), einem Stiefbruder des Kriegsrates. Franz Christian Merck studierte in Jena und Straßburg Medizin und promovierte 1758 in Gießen bei Prof. Dr. Müller. Er ließ sich in Darmstadt nieder und wurde 1764 „in Ansehnung seiner in arte medica besitzenden Geschicklichkeit und bishero in praxi bezeichneten Fleißes zu unserem Hofmedico in Gnaden ernennet und bestellet“. Im selben Jahr wurde „an Stelle von Dr. Christian Heinrich Schleiermacher der Hofmedicus Dr. Merck zum [Seite-229] Stadt- und Land-Physicus zu Alsfeld mit davon abhangender Besoldung gnädigst ernannt“.

Seinem Wunsche, im Jahr 1776 nach Darmstadt an das Landphysikat versetzt zu werden, wurde nicht entsprochen. Sein Anliegen war verständlich; er wollte wieder in seine Heimatstadt, aus der auch seine zweite Frau stammte.

Johanna Neubauer starb bereits im Alter von 36 Jahren am 4. November 1773 in Alsfeld. Auch seine zweite Frau, Christina Justina Klipstein (geb. 27.03.1746) starb früh. Sie war die Tochter des Forstmeisters Johann Melchior Klipstein. Aus seiner ersten Ehe hatte Merck sieben Kinder, von denen vier sehr jung starben; Christina Klipstein schenkte ihm vier, von denen nur zwei Söhne am Leben blieben. Sie selber starb bereits am 21. September 1783.

Ein Jahr zuvor hatte Merck ein ansehnliches Haus in Alsfeld erworben. Zuvor hatte er das seines Vorgängers, Dr. Schleiermacher, bewohnt. Das neue Haus, ein noch gut erhaltenes, stattliches dreistöckiges Fachwerkgebäude mit Hofreite und Garten neben dem Pfarrhaus in der Kaplaneigasse, war ein ehemaliger Burgsitz, genannt der „Pfaffsche Hof“. Hier wohnte er mit seinen ihm verbliebenen fünf Kindern. Nach einem Bericht des Alsfelder Landrates Hallwachs hatte sich Dr. Merck trotz bewiesener Geschicklichkeit jedoch nicht das Zutrauen der Bevölkerung erwerben können. Als er aus Altersgründen darum bat, seinen Schwiegersohn, Dr. Stoll, mit in die Praxis nehmen zu dürfen, wurde seinem Wunsch nicht entsprochen. Im Jahre 1804 verkaufte Dr. Merck das große Anwesen für 3.000 Gulden und schloss mit dem Käufer, Fabrikant Berck, einen Verpflegungsvertrag auf Lebenszeit. Aber schon am 17. August 1804 starb Hofrat Dr. Merck.

Von den Kindern ist der älteste Sohn aus erster Ehe, Hofrat Dr. Karl Heinrich Merck, von besonderem Interesse. Er wurde am 19. November 1761 in Darmstadt geboren und verlebte seine Jugend in Alsfeld, da sein Vater dorthin gezogen war. Von 1780 bis 1784 studierte er Medizin in Gießen und Jena. Aufschluss über diese Zeit liefert ein Stammbuch aus den Jahren 1779 bis 1784, das sich im Besitz der Universitätsbibliothek Gießen befindet. Wir finden Eintragungen von Studienfreunden aus Gießen, Gleiberg, Buseck. Die Zitate sind zum Teil Kleist, Lessing und Wieland entnommen.

Das Studium schloss Merck am 10. Dezember 1784 in Gießen mit der Promotion über das Thema „De anatomia et physiologia lienies eiusque abscessu feliciter curato (über die Anatomie und die Physiologie der Milz und deren glückliche Operation)“ ab.

Die Gründe für Mercks Auswanderung nach Russland und die von ihm dort eingeschlagene Laufbahn sieht Jacobi (MFZ, Band XV, S. 46 ff.) im Einfluss des Kriegsrat Merck, seines Onkels, der selbst in St. Petersburg war und das sibirische Reisewerk des Berliner Naturforschers Peter Simon Pallas ins Deutsche übersetzt hatte. Der Kriegsrat hatte sich mit einem Empfehlungsschreiben an den ihm befreundeten Hofrat Brinckmann sehr für seinen Neffen eingesetzt. [Seite-230]

Von 1786 bis 1795 nahm Karl Heinrich Merck an einer von der Kaiserin Katherina II. von Russland befohlenen „Geheimen astronomischen sowie geographischen Expedition zur Befahrung des Eismeeres und zur Beschreibung seiner Küsten sowie zur Feststellung von Inseln in diesem Meer zwischen dem asiatischen und dem amerikanischen Kontinent“ teil. Hier erwarb er seinen Ruf als bedeutender Gelehrter und Naturforscher. Sein Tagebuch, das sich im Besitz des Familienarchivs befindet, berichtet über die Naturverhältnisse der besuchten Küsten und Inseln und enthält eine exakte Beschreibung der gesammelten Gesteine, Pflanzen und Tiere. Auch finden sich wertvolle Notizen über die Lebensweise der besuchten Volksstämme. Die wissenschaftliche Ausbeute der Expedition nach dem Beringmeer war sehr groß. Die Forschungsarbeit Mercks wird von seinen Zeitgenossen und Vorgesetzten sehr gerühmt.

Seiner Ehe mit der Russin Nadeschda Gawrilowna entstammen zwei Kinder. Sophie und Friedrich Karl Wolfgang. Letzterer war verheiratet und hatte fünf Kinder, die keine Nachkommen hinterließen. Somit ist der Petersburger Zweig der Familie Merck bereits in der dritten Generation ausgestorben.

Biographische Notizen zu Johanna Merck

Johanna Merck wurde 1760 als Ehrenmitglied in die Göttinger „Teutsche Gesellschaft“ aufgenommen. In den Archiven der Gesellschaft befindet sich das Schreiben, in dem der Witwer den Tod seiner Gattin anzeigt. Sein Inhalt trägt nicht nur zur Geschichte der Dichterin bei, sondern charakterisiert zugleich den Verfasser.

„Hoch-, Hochwohl-, Wohl-, Hochedelgebohrene und Hochgelahrte Herrn, Gnädig-, Hochgrosgünstig-, Hochzuverehrende Herrn! Es hat Gott gefallen, meine geliebte Ehegattin und hochdere, der Königl. und Kurfürstl. Deutschen Gesellschaft in Göttingen aufgenommenes Mitglied Johanna Maria Elisabetha, eine gebohrene Neubauerinn, am 5. Novembris d. I. (das Kirchenbuch gibt den 4. 11. an. D. Verf.) nach einer derselben in Ihrer letzten Niederkunft zugestoßenen und in die 7 Wochen angedauerten Krankheit in dem 37ten Jahr Ihres Alters aus dieser Zeitlichkeit abzufordern.“

„Meine Schuldigkeit erfordert es, Ew. Ew. Ew. Hoch-, Hochwohl-, Wohl-, und Hochedelgeb. diesen Abgang eines deroselben Mitgliedern gehorsamst einzuberichten und denselben vor die Ehre, welche Sie derselben in Ihrem Leben durch die feyerliche Aufnahme in eine so erlauchte Gesellschaft als man in der Ihrigen verehret, erwiesen haben, den verbindlichsten Dank zu erstatten, anbenebens aber gleich anfangs zu bietten, selbige geruhen wollen es theils meinem über diesen Verlust auf allen Seiten empfindlichen Schmerz, theils meiner öfteren Abwesenheit in Besuchung der Kranken, theils auch der Zerstreuung des Gemüths, aus welcher ich mich von dieser Schuldigkeit etwas später entledige, als es nach den Regeln des Wohlstandes hätte geschehen sollen.“ [Seite-231]

„Es bleiben die Veranstaltungen und Anordnungen Gottes in seinen Reichen jedesmal heilig und weise. Und diese Weisheit wird auch von Ihren Kindern mit willigster Unterwerfung gerechtfertigt. Dieser weise Regent wird sonder allen Zweifel vor das gemeine Beste der Stadt Gottes vorträglicher gefunden haben, wenn er die Wohlseelige aus der vor der Welt so angesehenen Gesellschaft iener vollkomen gemachten Geister eintreten heisen, in welche Sie mit weit aufgeklärtem Geist, und ohne die Zerstreuungen dieses irdischen Lebens, Lieder aus dem höheren Chor zum Lob des Schöpfers dichten und vor dem Stuhl des Lammes, welches Sie hienieden schon mit so großer Demuth verehret, anstimmen und vor selbigem niederlegen würde.“

„Die Wohlseelige hatte bey Ihren annoch gesunden Tagen abermal Fortsetzungen von Ihren prosaischen Werken ausgearbeitet, solche auch würklich der Presse allschon übergeben. Sie hat aber das Ende des völligen Abdrucks nicht erlebet, indem solcher allererst gegen Ostern die Presse verlassen wird.“

„Meine vor die Seelige als eine tugendhafte Ehegattin, sorgfältige Kindermutter, fleißige Hauswirthin und über solches alles vernünftige Christin heegende Achtung habe ich in einer Trauer-Ode zu erkennen geben sollen. Ich nehme die Freiheit selbige hier anzulegen und mir übrigens die vorzügliche Ehre zu erbitten, mich Zeit Lebens mit ausnehmender Hochachtung und Ehrerbietung nennen zu dürfen Deroselben Ew. Ew. Ew. Ew. Hoch-, Hochwohl-, Wohl-, und Hochedelgeb. unterthänigen und gehorsamsten Diener D. Franz Christian Merck, fürstl. Hess.-Darmstädt. Hofrath und Hof-Medicus, auch Physicus ordinarius in Stadt und Oberamt Alsfeld. Alsfeld den 16. Decembris 1773.“

Die Ode, die der trauernde Gatte hinzufügte, umfasste 10 Strophen. Die stark hervortretende Frömmigkeit, die ihm die Feder führte, ist besonders zu beachten, da Johanna Merck selbst in ihren Werken die Religion vornehmlich behandelt. Merck hat unter dem Verlust seiner Gattin schmerzlich gelitten, wie er es in seinen Versen ausdrückt. Wenn er klagt „ach ewig sollen Dir der Wemuth Thränen fließen, die keine Zeit, kein Schicksal enden wird“, so nimmt man etwas befremdet zur Kenntnis, dass er bereits 10 Monate nach dem Tode der Dichterin sich mit seiner zweiten Frau vermählte.

Durch einen glücklichen Zufall entdeckten wir auf dem Alsfelder Friedhof auf dem Frauenberg einen Grabstein, der für uns von großer Bedeutung ist. Es handelt sich hierbei um einen Stein, der der zweiten Frau, Christina Justina Klipstein, gesetzt wurde. Als wir im Februar 1967 den Stein zum ersten Mal untersuchten, nahmen wir noch an, er sei beiden Ehefrauen gewidmet. Dieser Irrtum konnte entstehen, da die Schrift inzwischen durch Witterungseinflüsse sehr gelitten hat und man nur noch bruchstückhaft die Inschrift entziffern kann.

Der Stein steht neben anderen alten Steinen an der Mauer der Friedhofskirche. Er ist auf beiden Seiten beschriftet und etwa 160 cm hoch und 90 cm breit. Im oberen Teil kann man noch zwei Engel erkennen, die wohl früher ein Wappen gehalten haben. [Seite-232]

Uns interessiert nur die Vorderseite des Steines. Dort konnten wir im August 1967 die Inschrift eindeutiger bestimmen. Sie ist jedoch seit Februar noch unleserlicher geworden. Mit einigem Erfolg haben wir versucht, sie mit Kreide nachzuschreiben. Auch sind die Fotos dank des Wetters von besserer Qualität, so dass ich aus ihnen noch einige Worte entziffern konnte.

Zur Erhaltung des familiengeschichtlich wertvollen Objektes wäre es an der Zeit, die Schrift durch einen Steinmetzen lesbarer zu machen und den Grabstein von der Stadt Alsfeld ganz zu übernehmen.

Mit Sicherheit konnten wir folgendes bruchstückhaft erkennen „Der Wohlseligen […] Frau Christianen Justine Merckin […] aus dem in Hessen berühmten und der […] Geschlecht der Klipstein ehelichen […] Herrn Forstmeisters […] in Darmstadt (?) seiner zwoten Ehe Gattin, mit welcher er zehn Jahre in vergnügter Ehe im 36. Jahr ihres Alters einen seligen todt d. 21. September 1783 nach einer langwürigen Kranckheit entrißen wurde […] ehelichen Treue mütterlicher Sorgfalt […] der Ehestand gesegnet (?) war. Frantz Christian Merck Medicine Doctors Staat- und Landphysicus in Alsfeld und Hochfürstl. Hessen-Darmstädtischer Hofrath.“

Auf dem Stein ist deutlich lesbar, dass Christina Klipstein im „36. Jahr ihres Alters“ verstarb. Die Inschrift steht damit im Widerspruch zu den Angaben im Stammbaum (Tafel C: Hessische Linie) und in der Familienzeitschrift, Band XVI, S. 110. Dort ist ihr Alter mit 37½ Jahren angegeben.

Die Dichterin und ihr Werk

Man hat Johanna Merck zu ihrer Zeit „eine deutsche Sappho“ genannt, ein anspruchsvolles Attribut, dessen Gehalt näher zu betrachten ist. Sappho war die größte Dichterin des Altertums. Sie lebte zwischen 630 und 570 vor Christus auf Lesbos. Der Grundton ihrer lyrischen Werke ist von glühender Innigkeit der Empfindung, verbunden mit Anmut und Wohllaut der Sprache.

Bekannter als „deutsche Sappho“ war die Zeitgenossin der Merckin, Anna Louise Karsch (1711-1799). Mit ihr verbindet man gewöhnlich dieses ehrenvolle Attribut, das Gleim ihr gab. Die Karschin war „eine Dichterin, die blos die Natur gebildet hat und die, nur von den Musen gelehrt, große Dinge verspricht (Johann Georg Sulzer). Die warme Begeisterung, die Johanna Merck für Friedrich den Großen zeigte, verbindet sie mit der Karschin, die die Taten des Königs verherrlichte.

Unter dem Titel „Gedichte eines Frauenzimmers“ erschienen 1759 und 1760 in Frankfurt zwei Gedichtsammlungen von Johanna Merck. Herausgeber war der damalige Kandidat der Theologie, der Anneröder Lehrerssohn Johann Lampe. Mit ihren Gedichten folgt sie der empfindsamen Richtung. Vorbilder waren Gellert, den sie in einem Gedicht „Freund“ nennt, und Klopstock. Mit dem schwedischen Dichter Gustav von Creutz (1731-1785) hat sie sich ebenfalls [Seite-233] befasst. Neben ihm zitiert sie häufig den Engländer Edward Young (1681-1765), den man mit Klopstock verglichen hat.

Das Vorwort der zweiten Gedichtsammlung ist voller Lob für die Verse der Merckin. Der Herausgeber schreibt: „Wenn ich mich wegen der Herausgabe dieser Gedichte vertheidigen wollte; so würde ich etwas überflüßiges thun. Der Druck dieser zweiten Sammlung der Gedichte eines Frauenzimmers ist schon durch die geneigte Aufnahme der ersteren vollkommen gerechtfertiget; und die Kenner werden hier eben die Schönheit finden. Die männliche Sprache der Poesie und die viele erhabene Gedanken, die in diesen Gedichten herrschen; die liebenswürdige Gemüthsart der schönen Dichterinn, die aus manchen Stellen hervorleuchtet – doch ich will kein Lobredner werden. Ich sage genug, wenn ich die Verfasserinn, Madame Merk, nenne.“

Mit 22 Jahren verfasst, hat ihre Lyrik den Glanz und die Anmut der Jugend. Man erlebt hier eine ganz andere Seite der Merckin. In den Prosawerken wirkt sie später wesentlich abgeklärter. Bei der Lektüre einiger Gedichte, die meist einer Freundin oder einem Freund gewidmet sind, darf man feststellen, dass der Vergleich mit Sappho nicht ungerechtfertigt war.

Die Prosawerke erschienen in 4 Sammlungen unter dem Titel „Versuche in prosaischen Stücken“. Die 59 Prosastücke lassen sich aufteilen nach 1. Religion, 2. Natur, 3. der Mensch mit seinen guten und schlechten Eigenschaften. Die Religion nimmt dabei einen breiten Raum ein. Sie schreibt über das Gebet, die Unsterblichkeit der Seele, den Religionseifer und die Güte Gottes. Andere Themen befassen sich mit der Auferstehung des Erlösers, dem Tod, der Führung und dem Dasein Gottes. Der Ton dieser Abhandlungen ist meditativ. Sie haben vielfach den Charakter einer Predigt, verraten ein hohes moralisches Verantwortungsbewusstsein und münden fast immer in einem Lob Gottes. Sie vertritt überall einen bibelgläubigen Standpunkt. „Trotz aller stark hervortretenden Frömmigkeit steht sie aber Lessing nahe in ihrem Verlangen nach Duldung und dem Verwerfen jedes Religionseifers“ (Strack).

In dem Vorwort zu der 1763 in Frankfurt und Leipzig erschienenen ersten Sammlung, verlegt bei Johann Friedrich Fleischer, gibt sie in der Schrift „An eine Freundinn“ ihren Gedankengängen Ausdruck. „Wenn ich mit allem Stolz eines Autors auf die Bühne treten wollte; so müßten meine Ausarbeitungen in einem anderen Kleide erscheinen. Ihnen, meine Freundinn, ist meine Eigenliebe und zugleich die wenige Musse, welche ich den Wissenschaften weihen kann, bekannt. Jene verleitet mich Stücke, welche unreif und ohne Schmuck erscheinen, der Vergessenheit nicht ganz zu entziehen: und diese giebt mir keine Zeit sie so zu bearbeiten, als ich vielleicht thun würde, wenn ich weniger Geschäfte hätte. Ich werde niemand einladen, diesen Blättern die Ehre anzuthun sie oft durchzulesen, oder in einer weitläufigen Vorrede ihre Vorzüge anpreisen. Es gilt mir gleich, ob die Zeitungen sie zu den Sternen setzen, oder zu einem Mittel einzuschlafen angeben. Eben so viel Verdruß wird es mir erregen, wenn die Herrn Kriticker über die [Seite-234] Anlage, Ausarbeitung und Wahl der Materien, reden. So viel versichere ich dennoch, daß ich als ein Frauenzimmer, und nicht als ein auf Ruhm denkender Schriftsteller, geschrieben, wenn ich meinen Freunden zur Gefälligkeit die Empfindungen meines Herzens zu Papier gebracht habe. Und diese Empfindungen, wenn meine Seele mit Gott redet, oder über Abwechslungen dieses Lebens ihre ernste Betrachtungen hat, werde ich für die größten Vorzüge meiner Prüfungszeit und für mehr als allen Schmuck des tändelnden Putzes meines Geschlechts halten. Darmstadt, den 1. August 1763.“

Dieses Vorwort bestätigt in seinem Datum den beruflichen Weg ihres Mannes. Bis 1764 lebte die Dichterin mit ihm in Darmstadt. Ein zum Teil erhaltener Vertragsentwurf der Übernahme eines Alsfelder Hauses vom 26. November 1764 fixiert den Tag, an dem die Familie in Alsfeld sesshaft wurde. Daraus folgt, dass in Darmstadt drei, in Alsfeld vier Kinder geboren wurden.

Nie wird die Dichterin müde, die Reize der Natur zu besingen, darin einem Antrieb der Literatur ihrer Zeit folgend. Die erste Sammlung, die sie mit 26 Jahren zusammenstellte, umfaßt 17 Stücke. Darunter sind allein sechs Naturbetrachtungen.

„Die Nacht.“ „In dieser Stille und unter den Flügeln der sanften Nacht, will ich mich den angenehmsten Betrachtungen überlassen, und ganz Gefühl seyn, das meine Seele oft himmlisch bemeistert. O Entzückung, die ich mehr empfinden als ausdrücken kann …“

„Deine anmuthigste Scene, Nacht, nähert sich. Der Mond mit seinem lächelnden Gesicht blicket uns an. Mein Auge und Seele wird von diesen sanften Strahlen eingenommen, da der Mond auf seinem Silberwagen süße Empfindungen in mich herrschet. Mit welcher entzückenden Pracht zeiget sich die ganze Schöpfung! Die grünenden Gebüsche, die anmuthreichen Wälder sind gleich als wie mit strahlendem Golde übersponnen, und wie mahle ich den Schimmer, welcher durch ihre Öffnung hindurch schießet? Und spiegelt sich nicht selbst des Mondes Antlitz in den Bächen, daß sein Glanz durch die schimmernden Fluthen erhöhet wird? O Nacht, du stille Gebährerinn der Freuden, welche Anmuth, welche Freuden bringest du in dem einsamen Bewunderer von dir hervor? Der dichterische Pinsel eines glücklichen Poeten suchet vergeblich dein Lächeln, du Beherrscher der Schatten, abzubilden. Wie sollte ich deine nächtlichen Reitze glücklich abschildern? Diese stille Vergnügungen erquicken nur das feine Gefühl, und ergötzen das Auge ohne wilde Auszierungen. O wie groß erscheinet mir der Meister, welcher alles dieses erschuf! Deine sanfte Schönheit, du nächtliche Sonne, führen mich zu dem Allmächtigen, und wer weiß, ob nicht Millionen Bewohner in dir diesen Augenblick mit mir seine Macht und Weisheit mit einem heiligen Schauer verehren?“

Zwei Schlüsselwörter sind für die Dichterin Johanna Merck bestimmend: Gefühl und Empfindung. „Ich bin ganz Gefühl“ schreibt sie auch an anderer Stelle. „Youngs berühmtestes Werk „Nachtgedanken über Tod, Leben [Seite-235] und Unsterblichkeit“ ist bahnbrechend für die Richtung der Nacht- und Grabespoesie geworden, die in der europäischen Literatur am Vorabend der Romantik einen breiten Raum einnimmt. Wo man sich dabei auf Young beruft, denkt man an den elegischen Weltschmerz, der seine Dichtung durchzieht. Die Sehnsucht nach Empfindsamkeit ist so stark geworden, daß man selbst das für echtes Gefühl hält, was oft intellektuelle Spielerei ist“ (Paul Meissner: Englische Literaturgeschichte, Heidelberg 1950).

Was hier über Young gesagt wird, trifft auch auf die Alsfelder Dichterin zu. Ihre Betrachtungen erscheinen uns jedoch mehr vom echten Gefühl denn von reiner intellektueller Spielerei getragen: dafür ist der Ton, trotz allem Überschwang der Gefühle, manchmal zu ernst. Ein gewisses Epigonentum kann man ihr allerdings nicht absprechen. In den melancholischen Mitternachtsbetrachtungen ahmt sie Young nach. Sie ist jedoch eine der ersten, bei denen sich die Mondschwärmerei findet.

Die Naturbetrachtungen umfassen ferner noch die Jahreszeiten, Morgenstimmungen und Sonnenuntergang, Betrachtungen bei der Ernte sowie der Werke der Natur. Letztlich dienen alle der Verherrlichung der Schöpfung Gottes.

Die erste Sammlung muß eine gute Aufnahme gefunden haben. Schon vier Jahre später, 1767, erschien eine zweite Sammlung mit 18 Prosastücken, die einer „Freundin in D“, wohl Darmstadt, gewidmet sind: „Wenn ich dem größten Theil der Schriftsteller folgen wollte, so hätte ich von dem vielen Beifall, welchen meine erste Sammlung erhalten, zu reden. Da aber die Ruhmesbegierde keiner meiner Absichten ist, so handle ich auch der Mode nicht gleich. Die größte Belohnung vor diese Arbeit wird die seyn, wenn meine Aufsätze auch nur von wenig Edlen mit denen Empfindungen gelesen werden, mit welchen sie aufgesetzt sind. Meine erste Sammlung hat einige zur Übung der Andacht und Verherrlichung Gottes, als wohin unser ganzes Leben geht, aufgemuntert. Werde ich diesen Entzweck wieder erreichen, so bin ich so glücklich als sich unsere gröste Schriftsteller zu seyn gedenken.“

Die dritte Sammlung ließ nicht auf sich warten. Sie erschien bereits 1770 und umfasste 14 Aufsätze. „Wenn meine Aufsätze der Welt mehr aus Stolz oder Eigenliebe vorgeleget würden, so würde ich von dem Beifall meiner ersten Sammlungen, und der Ermunterung zu der Dritten von vornehmen Lesern reden. Allein der Ruhm ist keine meiner Absichten. Und meine Geschäfte erlauben mir nicht ihnen den Glanz zu geben, welche solche Schriften fordern. Diese flüchtigen Aufsätze der Religion und Tugend gewidmet, erscheinen hier an mein Geschlecht um sie zu ermuntern ihr Herz zu verbessern, ihren Willen edel zu lenken und den Sturm der Afekten zu mildern und denen Befehlen der Vernunft unterzuordnen.“

Als sie zu schreiben begann, hatten die Werke des Engländers Samuel Richardson (1689 bis 1761) bereits auf den Kontinent gewirkt. Mit seinen Werken „sprach er die an, die über die Rationalisierung der Zeit hinausstrebten und wieder [Seite-236] nach einer Beziehung zur Welt der Empfindung verlangten“ (Meissner). Richardsons Romane sind in Europa bedeutender als in England geworden. Gellert übersetzte sie, Lessings „Miss Sarah Sampson“ ist von dem Roman „Pamela“ beeinflusst. Johanna Merck muß die Werke Richardsons in der Übersetzung Gellerts gelesen haben, zumindesten den Roman „Clarissa“ (1747), auf den sie in Zusammenhang mit Lessing Bezug nimmt.

Die Vielfältigkeit ihrer Themenwahl wird im letzten Themenkreis besonders augenfällig. Sie schreibt über die Eitelkeit, die Unzufriedenheit, die Demut, die Zufriedenheit und die Glückseligkeit. Unter diesem Thema huldigt sie besonders dem Kultus der Freundschaft und verherrlicht ihn als „himmlische Freude der Sterblichen“.

Unter dem Thema „Mensch“ wird auch die Beziehung zu Richardson deutlich. Mit seinem Briefroman „Pamela“ wollte er ein Buch des guten Tons schreiben. Die Vorrede zur 3. Sammlung der Prosastücke der Merckin zeigt eindeutig die pädagogische Zielrichtung und Bestimmung an: nicht nur Erbauungsliteratur im Sinne Richardsons, sondern auch zweckgebundene Prosa.

In dem Aufsatz „Die Mutter“ aus der zweiten Sammlung lesen wir: „Der fast allgemeine Fehler bey dem Weiblichen Geschlecht ist, daß viele reden ohne zu wissen, was man redet. Dieser Fehler so gemein er ist, ist nicht durch die Natur, sondern durch die Erziehung fortgepflanzt. Unnütze Dinge zu reden, den Nächsten nachtheilig zu beurtheilen wird der Vernünftige hassen, dieses würden auch unsere Frauenzimmer vermeiden, wenn sie diesen Fehler als ein Laster erkennten, und er ihnen nicht durch die Gewohnheit zu der anderen Natur geworden wäre. Eine christliche Erziehung, Grundsätze und das gute Exempel derer Mütter würden die Denkungsart und Gewohnheiten ihrer Töchter bald verändern und sie lehren bedächtlich zu reden, und verschwiegen in dem zu seyn, was man ihnen anvertraut.“ Dann folgt ein längeres Zitat Richardsons.

Ganz im Sinne Richardsons ist der Traktat, der sich mit der Erziehung „junger Frauenzimmer“ befasst (3. Sammlung). Die Gedanken sind ungewöhnlich modern. Besonders scharf wendet sich die Autorin gegen die „unverantwortliche Schwachheit der Eltern, die Kinder zu einer Wahl zu zwingen“. Sie äußert sich hier über die Heirat junger Mädchen. Mit diesem Knigge des 18. Jahrhunderts hat sie das Programm ihrer Vorworte erfüllt.

Die vierte und letzte Sammlung wurde 1775 posthum verlegt und vermag nicht mehr in dem Maße das Interesse des heutigen Lesers zu fesseln wie die anderen Ausgaben, da sie Bekanntes in breiterer Form verarbeitet. Vor allem nehmen Zitate anderer Dichter einen zu großen Raum ein. Man muß jedoch einräumen, dass der frühe Tod ihr die Möglichkeit nahm, diese 10 Abhandlungen noch einmal zu überarbeiten.

In ihrem Prosawerk finden wir wenige autobiographische Spuren. Sie weist gelegentlich darauf hin, dass „Geschäfte, die oft alle Kraft meines Geistes niederdrücken“, sie vom Schreibtisch fernhalten. Vor allem ist sie durch den frühen [Seite-237] Tod ihrer Kinder schwer betroffen worden. „An ihren abwesenden Freund“ schreibt sie in der zweiten Sammlung: „Sie ist nicht mehr. Mein jüngster Liebling ist erblaßt. Der Schmerz einer Mutter, wenn sie ein Kind in ihre Arme schließet, und schnell als ein Gedanke wird es ihr entrissen, ist mehr durch Gefühl als durch Worte zu beschreiben. Gott! Welche Thränen hat es mir gekostet.“ Es handelt sich hier um die Tochter Maria Hedwig, die 1764 im Alter von anderthalb Jahren starb.

In der 4. Sammlung lesen wir unter „Mütterliche Empfindungen“: „So, wie der Nordwind die blühende Rose entblättert, die Florens Hand erschuf, das Auge bewundert, und im Gefühl, das ihr Geruch uns einathmet, ist sie nicht mehr. So schnell raubt der Tod dich Beste der Rose ähnlich, dich liebenswürdigste der Töchter von dem fühlenden Herzen der Mutter hinweg. Eine Tochter der größten Hoffnung ward mir in einigen Stunden aus den Armen gerissen. Sie war schon zwölf Jahre alt. (Es war das erste Kind aus der Ehe mit F. C. Merck, Johanna Elisabetha Friederika, geb. 1760, D. Verf.) Ein Liebling meines Herzens wurde mir einge Jahre vorher aus der Zeit zurückgefordert.“ Die Letztere starb im Alter von zwei Jahren und hieß Maria Friederika.

Johanna Merck soll das letzte Wort haben. Wir zitieren aus „Die Ungewißheit des Ruhmes vor Schriftsteller“. „Keine sichere Belohnung findet ein Schriftsteller als wenn er weniger schreibt zu gefallen, als zu nützen und zu bessern. Der Ruhm ist in sich nichts, und doch ist er ungewiß und hängt zufällig von der Zeit und dem Geschmack ab. Kaum nennen wir noch Namen, und waren sie nicht die Ehre ihres Jahrhunderts? Ihr Period ist nicht mehr. Der Nachruhm ist eitel und ungewiß.“

Für Johanna Merck trifft der letzte Satz nicht zu. In ihren mütterlichen Betrachtungen wie in den pädagogischen Gedanken hat die Alsfelder Dichterin ihre Zeit überdauert. Mit ihrem Werk hat sie ihr bescheidenes Teil zur Blütezeit unserer klassischen Literatur beigetragen.

Benutzte Literatur

Familienzeitschrift: Band XI: Aus der Jugendzeit des Alsfelder Amtsphysikus Dr. Franz Christian Merck. Band XII: Karl Heinrich Merck, Kaiserl. Russ. Hofrat, und seine Nachkommen, S. 14-21; S. 32-35. Band XV: Der Forschungsreisende Carl Heinrich Merck und sein Tagebuch. Band XVI: Aus dem Leben des Hofrat Franz Christian Merck, S. 109ff.

Paul Meissner: Englische Literaturgeschichte, Heidelberg 1950.

Peter Merck: Eine „deutsche Sappho“ aus Alsfeld, zum 230. Geburtstag der Dichterin Johanna Merck, „Heimat im Bild“, Beilage zum „Gießener Anzeiger“, Februar 1967, Nr. 8.

Die Publikationsgenehmigung für diesen Text von Peter Merck im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von der Merck KGaA (Merck Corporate History) erteilt.

Vielen Dank!

Erstveröffentlichung:

Peter Merck, Die Dichterin Johanna Merck, geb. Neubauer, in: Mercksche Familienzeitschrift, 1968, Band 23, S. 228-237.

[Stand: 18.03.2024]