Rezension von Johann Christoph Gottsched (1759)
Seitdem es aufgehöret hat, ein Wunder und eine Seltenheit zu seyn, daß ein Frauenzimmer Verse machen kann; seitdem hat man von diesem angenehmen Geschlechte etwas mehr, als Verse zu fodern angefangen. Deutschland ist auch in der That so glücklich gewesen, Schönen zu erleben, die recht gute Verse, ja wahre Gedichte von allerley Arten hervorgebracht. Und haben sichs im Anfange dieses Jahrhunderts, Paulini und Lehms erkühnet, ganze Bücher mit galanten Poetinnen anzufüllen: so sollte es itzo nicht schwer fallen, nur von denen, die nach ihren Zeiten berühmt geworden, eine starke Nachlese herauszugeben.
Zu dieser guten Zahl gehöret allerdings, ihrem Geiste und Witze nach, die Verfasserinn der gegenwärtigen Gedichte. Was die Natur ihr von den Gaben der Musen verleihen können, das ist ihr im reichen Maaße zugetheilet worden. Allein, wie es nicht nur auf die Natur, sondern auch auf die Kunst ankömmt, wenn man gute Verse schreiben will: also liegt sehr viel daran, nach was für Regeln und Mustern man zu dichten anfängt. Der beste Boden kann Nesseln und Disteln tragen, wenn ihm keine guten Saamkörner anvertrauet werden; und, wenn ihm anstatt der Tulpen- und Liljenzwiebeln, nur wilde. Sprößlinge schlechter Hecken anvertrauet werden.
Wie es hier unsrer Dichterinn ergangen, wird uns gleich die erste Strophe des ersten Gedichts an die Doris zeigen. Sie lautet so:
Oft, Freundinn, lächeltest Du meiner Leier,
Wenn sie ertönte, Beyfall zu:
Dein Beyfall macht mich kühn, wenn Satyr winken,
Sing ich verwegen fort.
Wer sieht hier nicht, aus einem so undeutschen Anfange, in welche Schule unsre witzige Schöne gerathen. Böse Exempel sind oft reizender, als gute. Und das ist hier geschehen. Wo hat jemals ein Deutscher, außer einer gewissen Secte, der Leyer eines andern Beyfall zugelächelt? Welch eine Sprache ist das! Aber seitdem man einander zugejauchzet zugeweinet, zugeliebkoset, zugeathmet, zugehustet und zugenieset, so ist solches kauderwälsches Zeuges mehr ausgehecket worden, als Raupen im Frühlinge erzeuget werden. Ebenso. unrichtig ist es, wenn Satyr winken. Sollen es viele Satyren seyn, wie das winken zeiget: warum fehlet denn das en an dem Worte, das die mehrere Zahl erfordert? Doris muß gewiß keine Sprachkunst verstehen, sonst würde sie ihren Seyten den Beyfall sparsamer zugelächelt haben. Denn eben so falsch hat die Dichterinn in der 2ten Strophe dem Freund, dem Christ, ihre Saiten geweiht: wo andre Deutsche, es dem Freunde, dem Christen, gethan haben würden. Und wenn es vollends heißt: Jetzt lebet Gottschedinn, u. Dort hör ich Unzerinn u. so ist das eben so schön Deutsch; als wenn Germanien ihren Ton umlächlet.
In der zweyten Ode soll die Dichtkunst, ihr Saitenspiel, (was ist das anders, als die Dichtkunst selbst?). auch so gar umlächeln.: Warum nicht durchlächeln, belächeln, und überlächeln? Doch, wir wollen nichts mehr davon sagen. Nur damit man uns nicht für zu grämische Sprachkünstler ausschreye, so merke man des Boileau Ausspruch; aus der Art poetique:
Sans la langue, en un mot, l‘Auteur le plus divin,
Est toujours, quoiqu’il fasse, un mechant Ecrivain.
Wir übersehen die Desheulire, für Deshoulière, weil es vieleicht ein Druckfehler seyn kann. Wir merken nur, daß die ganze Prunksprache der neuen Poetenzunft, z. Z. die einzelne a la Mode-Thräne, das Jauchzen, das ewige Schaffen, das Entlocken, das Schmecken und Fühlen, die Sympathien, der Seraph; der Busem, das Zuweinen, die Melancholie, das Aufwallen, das Große, an Stellen, wo sichs ganz erstaunt zuerst erblickt; die Rabine (?), der Ambraduft, des Tages Lenz, die Pause, der Unsinn, die Sphären, die Scenen, die Majestät, der melancholische Pomp, das Schöpferische, (NB. sehr häufig) die heilige Feyer, unbenutzt, Phantasien, unentwickelt, tragische Thränen, die Mitternacht, das Jugendliche, das Umgaukeln, das Malerische, die Labyrinthe, u.v.m. hier wimmelt. Das Lächeln sonderlich ist ein recht beliebtes Wörtchen: in mancher kleinen Ode kömmt es drey-vier-fünfmal vor; und in diesen vier weitläuftig gedruckten Bogen, ist wenigstens, vier und zwanzigmal gelächelt worden.
Indessen entschuldigen wir die scharfsinnige Verfasserinn gern. Nicht Sie, sondern ihre Freunde, die ihre Gedichte dem Drucke übergeben, haben Schuld. Wie viel besser hätten sie gethan, wenn sie dieselbe auf eines Hagedorns, Gellerts, Creuzens und Gleims Spuren bey der Reinigkeit und Anmuth erhalten hätten; denen sie zwar alles Lob giebt, aber die Sie nicht nachahmet. Folgendes ist ihre beste Ode, der wir mit vielem Beyfalle zulächeln. O wenn sie alle so wären!
Der Morgen
Von Johanna Maria Elisabeth Merck (1757)
Der Sternen Heer ist kaum gewichen,
Und schamhaft kaum der Mond verblichen,
So öffnet sie ihr Morgenthor;
Sie stralt, die Sonne, im Rubine,
Verblendend Gold umfaßt das Grüne,
Und im Triumph steige sie hervor.
Der Silberthau beperlt die Felder.
Aurora blicket in die Wälder
Von ihrem Throne stolz herab.
Dort prangt ein blaulich ferner Hügel;
Hier stürzt sich, gleich Crystall, ein Spiegel
Schnell murmelnd in sein nahes Grab.
Dort schwingt sich wirbelnd aus der Höhle
Die muntre Sängrinn, Philomele,
Und scherzt in sanfter Harmonie.
Die Lerche steigt, und läßt sich nieder,
Und wechselnd tönen ihre Lieder
In anmuthsvoller Melodie.
Der wache Landmann flieht die Hütte;
Ein Stier folgt langsam seinem Schritte
In das verjüngte grüne Feld.
Er lehnt sich horchend auf dem Pfluge;
Und preist in jedem Athemzuge
Den Herrscher der beglückten Welt.
Schon lockt der Hirt die muntre Heerde,
Entfernt von schimmernder Beschwerde,
In die begras‘te nahe Flur.
Den bunten Schmuck in stillen Gründen,
Die grüne Nacht belaubter Linden
Schenkt ihm die schöpfrische Natur.
Ein Bach, dem Auge immer schmäler,
Durchschlingt im krummen Lauf die Thäler,
Und blitzt, wie Diamant und Gold.
Der laue Zephyr weht gelinder,
Wenn Florens neugebohrne Kinder
Den süßen Ambraduft gezollt.
Fühlt wohl ein glänzendes Geschlechte,
Berauscht vom Unsinn später Nächte,
Der Morgenröthe sanfte Pracht?
Und hat der reicheste der Thoren
In Wollust nicht sein Glück verlohren,
Das ihn der Gottheit ähnlich macht?
Komm, Doris, laß uns Kränze winden,
Und um die junge Scheitel binden,
Hier stehen Veilchen, dort Jesmin.
Die Unschuld scherzt in unsrer Jugend,
Und lächelnd zeigt sie uns die Tugend,
Schön wie die Morgenrosen blühn.
Die Gottheit pflanzt in unsre Herzen.
Den frohen Trieb, vergnügt zu scherzen
Doch, daß sie auch den Ernst gebeut.
Laß unsern Geist sich aufwärts schwingen,
Und andachtsvolle Seufzer bringen,
Dem, der des Tages Lenz erneut.
[Stand: 16.03.2024]