Alsfeld
Europäische Modellstadt für Denkmalschutz

Von Dr. Herbert Jäkel, Alsfeld (1995)

Die Stadt Alsfeld (268m ü. d. M.) liegt an der Schwalm in der gleichnamigen Beckenlandschaft zwischen Vogelsberg und Knüll. Sie zählt heute mit ihren l6 Stadtteilen 18.000 Einwohner. Ihre Lage zwischen den Ballungsräumen Frankfurt am Main im Süden und Kassel im Norden, zwischen Gießen / Marburg im Westen und Fulda / Hersfeld im Osten hat einerseits zur Erhaltung der historischen Altstadt beigetragen, andererseits im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung, der wirtschaftlichen Struktur, den zahlreichen Dienstleistungen und der günstigen Verkehrslage einen beachtlichen zentralen Ort in einem ländlichen Raum entstehen lassen, der als Mittelzentrum einen Verflechtungsbereich mit etwa 45.000 Einwohnern aufzuweisen hat. Alsfeld ist der bedeutendste zentrale Ort und die wichtigste Einkaufsstadt im Vogelsbergkreis.

Diese alte Stadt lebt mit ihrer Zeit. Sie ist Mittelpunkt eines weiten Umlandes Verwaltungssitz, Schulzentrum, Industriestandort und Einkaufsstadt. Die Lage an der Bundesautobahn mit zwei Anschlüssen im Westen und Osten unmittelbar vor den Toren der Stadt gibt Alsfeld zugleich eine bedeutende Stellung im Fremdenverkehr. Unter der Bezeichnung „malerische Raststadt an der Autobahn Hamburg-Basel und Hamburg-München“ und „Heimstatt althessischer Bau- und Handwerkskunst“ ist die oberhessische Stadt schon früh zu einem Begriff selbst im internationalen Reiseverkehr geworden, der nach der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze in einem ungeahnten Maße zugenommen hat. Alsfeld liegt außerdem an der „Deutschen Ferienstraße Alpen-Ostsee“, an der „Deutschen Märchenstraße“ und an der „Historischen Fachwerkstraße“ und erlebt seit Jahren einen zunehmenden Städtetourismus. Hotels und gastronomische Betriebe, vielfältige Angebote des Freizeitbereiches dienen Besuchern und Gästen.

Das einmalig schöne Fachwerk-Rathaus ist das weithin bekannte Wahrzeichen althessischer Bau- und Handwerkskunst. Die sehenswerte Altstadt, Musterbeispiel einer Stadterhaltung, zahlreiche Baudenkmäler des Mittelalters und der Renaissance kennzeichnen eine der charaktervollsten Städte Hessens. Marktplatz und Regionalmuseum ziehen viele Besucher und Reisegruppen an.

Alsfeld wurde wahrscheinlich während der Karolingerzeit im 8./9. Jahrhundert als Hofsitz gegründet. Burg und Stadt entstanden zwischen 1180 und 1190, als die Landgrafen von Thüringen mit einer bewussten Territorialpolitik in Hessen begannen. Das erstmals 1069 urkundlich erwähnte „Adelesfelt“ ist spätestens seit 1222 Stadt.

Alsfeld 1975
Europäische Modellstadt für Denkmalschutz
Emblem © Willi Weide

Alsfeld verdankt seine rasche Entwicklung der schon im Mittelalter bestehenden günstigen Verkehrslage an der „Straße durch die kurzen Hessen“ und der Politik der Landesherren. Es war im 14. Jahrhundert eine wohlhabende Stadt und zeitweilig Residenz des Landgrafen Hermann II. von Hessen, der sich um 1395 hier ein Schloss erbaute. Von den damals schon vorhandenen Befestigungsanlagen einer ellipsenförmig angelegten Stadtmauer von 1220 Meter Länge mit vier Toren – Mainzer Tor, Fulder Tor, Hersfelder Tor und Obertor – sind noch ein Stück Stadtmauer und der 1386 errichtete Leonhardsturm erhalten. Neben dem Schloß des Landgrafen besaß Alsfeld ein um 1280-1290 wohl von Gotha aus gegründetes Kloster des Augustinereremitenordens, das 1527 aufgehoben wurde.

Die schöpferischen Leistungen der Bürger gipfeln in den Bauten des 16. Jahrhunderts, die mit Rathaus (1512-1516), Weinhaus (1538), Hochzeitshaus (1564-1571) und zahlreichen Fachwerkhäusern dem Marktplatz noch heute sein malerisches Bild geben und zusammen mit dem mittelalterlichen Gepräge der Gassen die Stadt zu einem Kleinod im Kranz der oberhessischen Städte machen.

In der Blütezeit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert gehörte Alsfeld mit etwa 2500 bis 2700 Einwohnern zu den 30 größten Städten Deutschlands. Haupterwerbszweig der Bürger waren Handel und Handwerk. Große Bedeutung hatten die Zünfte, die durch den „Korebrief“ – 1429 war das das Grundgesetz Alsfelds bis 1821 – Einfluss auf die kommunale Politik gewannen.

Der Dreißigjährige Krieg brachte groß es Leid, Plünderungen (1622), Hungersnot (1626), Pest (1635), Besetzung (1640 und 1643-1646) und Beschießung und Zerstörung von 306 Wohnhäusern und Scheunen, so dass 1648 nur noch 1120 Menschen in der Stadt lebten. Bild und Leben in der Stadt wurde durch die besondere Struktur des Ackerbürgertums bis in das 20. Jahrhundert bestimmt.

Erst im beginnenden 19. Jahrhundert kam es wieder zu einem Aufschwung. 1831 hatte die Stadt 3785 Einwohner, 1832 wurde sie Kreisstadt. 1871 erhielt Alsfeld mit der Strecke Gießen – Fulda den lang gewünschten Eisenbahnanschluss als eine wichtige Voraussetzung der Industrialisierung, durch die das seitherige Ackerbürgertum eine tiefgreifende Änderung erfuhr. 1916 folgte die Eisenbahnverbindung nach Hersfeld und 1938 der Anschluss an das Autobahnnetz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Stadt zunächst einen mehr als fünfzigprozentigen Bevölkerungszuwachs. Die Zahl der Einwohner stieg von 6028 im Jahre 1939 auf über 10.000. In den ersten Jahrzehnten entstanden neue Stadtviertel im Süden, Westen und Norden (Krebsbach, Rodenberg, Hochstraße). Viele Straßen wurden gebaut, die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung neu geordnet, Schulen vergrößert und durch Neubauten erweitert, Sportanlagen geschaffen, Industrie- und Gewerbeflächen ausgewiesen und der Bundesgrenzschutz angesiedelt.

Alsfeld wurde 1959 in das Förderungsprogramm für zentrale Orte aufgenommen und wurde 1963 Bundesausbaugebiet. 1962 fanden erste städtebauliche Bestandsaufnahmen des Altstadtkernes statt. 1964 gab es den ersten Sanierungsauftrag, der 1966 auf die ganze Altstadt erweitert wurde. Für die vorbildliche Bauleitplanung und die kommunalen Vorsorgemaßnahmen erhielt Alsfeld 1966 im Bundeswettbewerb „ Bürger, es geht um Deine Gemeinde“ die Goldplakette. Die Altstadtsanierung in Alsfeld wurde zum Modellfall für das Land Hessen sowie ein Studien- und Modellvorhaben der Bundesrepublik (1971) und wurde entsprechend gefördert.

Die Förderung der Sanierung der historischen Altstadt durch Bund und Land lief 1985 aus und dürfte eine Gesamtinvestition (einschließlich der privaten) von weit über 100 Millionen DM aufgewiesen haben. Der Schaffung von Parkplätzen, der Zulieferstraße, des Parkdecks und der Fußgängerzonen folgten zahlreiche private Investitionen des Einzelhandels einschließlich gelungener Restaurierungen geschichtlich bedeutsamer Fachwerkgebäude. Der Ausbau dreier unter Denkmalschutz stehender Gebäude aus den Jahren 1687 und 1688 zu einem Regionalmuseum war der Beitrag der Stadt Alsfeld zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975. Verschiedene Großprojekte, wie Ausbau des Hochzeitshauses (1564-1571) zu einem Café mit Wein- und Bierkeller und Verwaltungsräumen, des Rentamtes (17. Jahrhundert) zu Altenwohnungen, des Beinhauses (1510) zum Stadtarchiv, die Restaurierung der beiden ältesten Fachwerkhäuser in Ständerbauweise von 1350 und 1375 haben entscheidende Akzente für die Altstadtsanierung in Deutschland gesetzt.

Diese vorbildliche Altstadtsanierung unter vorrangig denkmalpflegerischen Gesichtspunkten hatte bereits 1973 dazu geführt, dass Alsfeld vom Europarat als ausgewähltes Beispiel für eine kleine mittelalterliche Stadt in das Pilotprogramm zur Erhaltung schutzwürdiger Baudenkmäler aufgenommen wurde. Alsfeld gehörte damit zu den 51 Städten und Örtlichkeiten aus 28 europäischen Ländern, die mit Hilfe der Kampagne für den Denkmalschutz unter dem Motto „ Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ als besondere Beispiele europäischen Kulturerbes für die Zukunft gerettet werden sollen.

Aber auch die moderne Entwicklung der Stadt wurde vorangetrieben. Mit der Gebietsreform in Hessen 1972 verlor Alsfeld die heftig umstrittene Funktion der Kreisstadt. Durch die Eingliederung von 16 Gemeinden wuchs die Gemarkung auf 12.990 ha, stieg die Zahl der Einwohner auf 18.000, mussten umfangreiche Aufgaben zur Verbesserung der Infrastruktur in der Kernstadt und den Stadtteilen in Angriff genommen werden.

So entstanden vor allem in den 70er- und 80er-Jahren zahlreiche Einkaufsmärkte, Altenwohnheime und Pflegeheime, ein neues Kreiskrankenhaus, ein Zentrum für den Katastrophenschutz mit Rotem Kreuz, Technischem Hilfswerk, Feuerwehr, Kriminalpolizei und Polizeistation, ein Schulzentrum mit Technikerschule, Berufsschule, Fachschulen und Gymnasium, ein Sport-, Freizeit- und Erholungszentrum vor den Toren der Stadt im Bereich des Grüngürtels der Schwalmau mit Reithalle und Reitplätzen, Tennishalle und Tennisplätzen, Sportstadion, Großsporthalle, Freibad und Hallenbad. Im Gewerbepark Dirsröder Feld haben sich die hessischen Rinder- und Pferdezüchter in einem Tierzuchtzentrum angesiedelt mit Auktionshallen, Viehställen und Verwaltungsgebäude für Leistungsprüfungen, Herdbucharbeit und Vermarktung. Auslagerung einheimischer und Ansiedlung neuer Industriebetriebe im Industrie- und Gewerbepark Alsfeld/Ost, die Erweiterung der Kläranlage auf den modernsten Stand, Umweltschutz und Erhaltung der Lebensqualität sind Aufgaben der 90er Jahre.

So zeigt sich Alsfeld nicht nur als eine der Vergangenheit verpflichteten, sondern auch als eine der Zukunft zugewandte Gemeinde.

Erstveröffentlichung:

Dr. Herbert Jäkel, Alsfeld. Europäische Modellstadt für Denkmalschutz, in: Festschrift 100 Jahre (1895-1995) Obst- und Gartenbauverein Alsfeld 1995, S. 36-39.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von ihm bzw. seinen Rechtsnachfolgern genehmigt.

[Stand: 10.02.2024]